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Kannidos Teil 8: Familie

Kannidos umklammerte den Kunststoffkasten in seiner Manteltasche wie die Angst seinen Brustkorb. Wussten sie davon? Er musste sich weiter zurückziehen. Die Angst ließ ihn wieder los.
„Nein“, log Kannidos. Was würde jemand Unschuldiges, ein treuer Bürger der Guten Ordnung jetzt sagen? „Was ist das?“
„Ein Spion.“
„Ein Spion?“
„Wir haben ihn hier gefunden. Am Zentralverteiler.“
„Bitte?“ Kannidos musste seine Reaktion nicht vortäuschen. „Unsere Wohnung wurde ausspioniert? Damit?“
„Ja. Ich befürchte, alles wurde aufgenommen. Und ich befürchte wir werden das auswerten müssen, um herauszufinden, was die Täter gesucht haben könnten. Ganz professionell und mit aller gebotenen Zurückhaltung natürlich. Jedenfalls muss sich jemand Zugang zur Wohnung verschafft haben. Irgendwelche Ideen wer das geschafft haben könnte?“
„Nein“, antwortete er, als wäre das die absurdeste Frage, die ihm jemand hätte stellen können, „Ich glaube, das ist der Sinn von Spionage. Heimlichkeit.“
„Keine Gäste, die dafür in Frage kommen?“
„Was?“, er täuschte vor, einen Moment darüber nachzudenken, „Nein. Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.“
„Hat jemand in letzter Zeit versucht, dich nach der Arbeit deines Ma- deines Freundes auszufragen?“
„Nein.“
„Und nach deiner Arbeit? Nach der Publikationsaufsicht? Hat dich jemand danach ausgefragt?“
„Nein. Nur mein Verlobter“, antwortete Kannidos. Sein Geliebter sah ihn überrascht an.
„Auch niemand aus dem Milieu, in das du aus Gründen, die mir egal sind, verwickelt bist?“
„Nein.“
„Sicher? Denk noch einmal darüber nach. Man redet doch. Insbesondere wenn man … redselig ist.“
„Wir reden über Sport, über Geschichten – über Literatur im Allgemeinen. Wir machen uns über C-Promis lustig und schauen alberne Filmchen oder hören Musik, manchmal spielen wir Videospiele. Aber niemand geht dorthin, um sich über die echte, über die ernste Welt Gedanken zu machen. Es wäre mir aufgefallen, wenn das jemand anders gehalten hätte.“
„Mh. Nagut.“
„War das alles?“, unterbrach Kannidos' Geliebter ungeduldig.
„Das war alles“, seufzte der Beamte und stand auf.
„Vergisst du nicht etwas?“, mahnte Kannidos' Geliebter.
„Ach ja“, der Polizist setzte sich wieder, „Das Ding ist: Wir haben diese Spionagegeräte jetzt mit einigen Sachen in Verbindung bringen können. Hauptsächlich bei Sicherheitsbehörden. Aber eben auch in der Publikationsaufsicht. Wir sind uns ziemlich sicher, dass der Angriff letzte Woche mit so einem Ding gemacht wurde. Das wirft natürlich die Frage auf, ob wirklich die organisierte Kriminalität dahintersteht.“
„Du meinst, es könnte etwas Politisches sein?“
„Zumindest ist die Publikationsaufsicht geradezu begeistert von dem Gedanken, hierfür magische Agenten verantwortlich zu machen. Aber bislang wissen wir einfach nicht, wer es ist“, antwortete der Beamte geduldig und setzte dann an Kannidos gerichtet nach: „Deswegen befürchte ich, wirst du dir einen neuen ... Anbieter suchen müssen. Deinen bisherigen werden wir hochnehmen müssen.“
„Aber … aber es gibt doch wirklich keinen Grund anzunehmen, dass er irgendwas damit zu tun hat“, wandte Kannidos ein, obwohl er wusste, dass es nicht helfen würde.
„Kann sein. Kann aber eben auch nicht sein. Er hat über dich Zugang zur Polizei“, der Beamte nickte zu Kannidos' Geliebten, „zur Publikationsaufsicht und wer weiß wohin noch. Selbst wenn er dich nicht ausfragt, könnte er genug Informationen gesammelt haben, um das biometrische Schloss auszutricksen. Gibt nur einen Weg, es herauszufinden.“ Er stand wieder auf und setzte an Kannidos' Geliebten gewandt fort: „Aber keine Sorge, die PA will nicht, dass wir deinen Freund festnehmen. Und dein Chef hat im Namen der Mordkommission auch schon Bedenken angemeldet. Also werde ich da nichts gefunden haben. So viel hat sich unter der Guten Ordnung dann doch nicht geändert.“
„Pass auf, dass ich dich nicht als Dissidenten bei den Internen anschwärze“, scherzte Kannidos' Geliebter, „Kommst du eigentlich mit zum Spiel?“
„Ich befürchte, meine bessere Hälfte hat andere Pläne. Oh und tut mir Leid, Kannidos, aber wenn ich jemanden vernehme, muss ich etwas Distanz bewahren. Mir wird schon jetzt schwindelig dabei, wenn ich auch nur an Befangenheit und Einflussnahme denke. Du verstehst?“
„Ja, natürlich“, antwortete Kannidos und öffnete dem Beamten, dem besten Freund und Arbeitskollegen seines Geliebten die Tür. Als er sie wieder geschlossen hatte, lehnte er sich mit dem Rücken dagegen. Sie waren allein.
„Du hättest mich ruhig vorwarnen können, was mich hier erwartet“, sagte er schließlich.
„Durfte ich nicht. Tut mir Leid.“
„Verstehe.“ Sie schwiegen eine Weile.
„Du hast mich vorhin deinen Verlobten genannt.“
„Stimmt.“
„Das wollten wir doch erst sagen, wenn es einen Termin gibt.“
Kannidos nickte. „Dann sollten wir endlich einen festlegen.“
„Wirklich?“
„Ja. Ich wollte damit eigentlich bis zum Spiel warten.“ Kannidos zögerte. Er musste erst selbst herausfinden, warum er sich plötzlich dazu entschlossen hatte. Noch dazu mit solcher Bestimmtheit. Er hatte diese letzte symbolische Bindung an seinen Geliebten hinausgezögert, immer wieder aufs Neue verschoben. Selbst, dass er bis zum Spiel warten wollte, stimmte nur halb: Er wartete immer bis zum nächsten Anlass, nur um ihn dann doch verstreichen zu lassen.
Warum hatte er dieses Mal das Gegenteil getan?
„Ich brauche wohl jemanden, der mich beschützt. Meinen Mann.“

Die nächste Geschichte erscheint in zwei Wochen. Die Kannidos-Reihe basiert auf Der Beste Staat. Darin findet ihr mehr Geschichten aus der Guten Ordnung.
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