„Bin
auf dem Weg. Will noch was zu Papier bringen“, antwortete er seinem
Geliebten, als dieser fragte, ob er bald nach Hause komme.
In
der Bahn schickte er seinem Rivalen die Kritik, die er fertig
gebracht hatte, nachdem sein Lieferant eingeschlafen und die anderen
Gäste gegangen waren. Gleichzeitig waren ihm einige Ideen für sein
eigenes Werk gekommen: Mehr als er in den letzten Wochen
zusammengebracht hatte. Wie so vieles entließ er auch seine
Anspannung, die angestaute, für den Ernstfall bereitgehaltene
Energie, in sein Schreiben.
„Entschuldigen
Sie“, wiederholte der Hilfspolizist mit fehlgeleiteter Autorität
in der Stimme und stellte sich ihm in den Weg.
„Was
ist denn los?“, fragte Kannidos verwirrt, als er schließlich
angehalten hatte, „Das ist meine Wohnung. Ist was passiert?“ Ein
Pulk aus Uniformierten und Kriminaltechnikern tummelte sich vor
seiner Tür.
„Ach,
das sind Sie“, antwortete der Hilfspolizist und schaute auf sein
Telephon, dann zu Kannidos, als wollte er sich vergewissern.
Immerhin: Sie waren wohl nicht seinetwegen hier, „Das kann ich
Ihnen nicht sagen.“
„Bitte?“,
fragte Kannidos. Es konnte nichts Furchtbares passiert sein, immerhin
hatte sein Geliebter ihm gerade noch eine Nachricht geschrieben. Aber
dass dieser Möchtegernordnungshüter ihm nicht einmal das sagte,
machte ihn ein wenig wütend: „Ich wohne hier, mein Freund ist da
drin und Sie können mir nicht sagen, ob in meiner Wohnung eine Bombe
explodiert oder jemand eingebrochen ist? Wäre es nicht Ihre Aufgabe,
mich wenigstens zu beruhigen, mir zu sagen, dass niemandem etwas
passiert ist, damit ich nicht in Panik gerate?“
„Nein“,
antwortete der Hilfspolizist plötzlich verunsichert. „Ich meine,
doch. Also… es ist keine Bombe. Äh. Ihrem Freund geht es gut.
Ich.“ Er stockte und Kannidos konnte genau beobachten, wie er
innerlich vor der Situation kapitulierte, ehe er „Der Freund ist
hier“ in sein Telephon sprach.
„Schick
ihn rein“, antwortete jemand.
Kannidos
war schon an dem Hilfspolizisten vorbei, als dieser ihn gerade erst
hineinwinken wollte. Hoffentlich nahm ihm das die Illusion
irgendeiner Autorität – und hoffentlich würde er das nicht an
jenen auslassen, die ihm im Gegensatz zu Kannidos ohne den Schutz
sozialen Status' ausgeliefert waren.
In
seiner Wohnung hielt Kannidos kurz im Flur inne, um seine Schuhe
abzuwerfen. Ein Polizist kam aus seinem Arbeitszimmer: Das war
beunruhigend. Ein anderer winkte ihn durch die Tür zu seiner
Rechten. Immerhin würde er in bekanntem Gelände kämpfen: Mit der
Wahrheit auf dem Rückzug und umringt von Halbwahrheiten.
„Hey“,
warf er seinem Geliebten in der Küche zu.
„Hey“,
antwortete dieser. Er stand mit verschränkten Armen gegen den Herd
gelehnt. Vor ihm saß am Küchentisch ein dicklicher Polizist in
einem kurzärmligen weißen Hemd.
„Guten
Tag, Kannidos“, grüßte der Polizist, „Setz dich doch und
schließe die Tür.“
Kannidos
tat wie geheißen, steckte die Hände in die Manteltaschen und setzte
sich.
„Ist
dir kalt?“, fragte der Beamte ohne guten oder bösen Willen in
seinem Tonfall.
„Er
zieht sich warm an, wenn er das Gefühl hat, krank zu werden“,
antwortete sein Geliebter für ihn.
„Ich
fände es besser, wenn er selbst antworten würde“, entgegnete der
Beamte, ohne die stechenden blauen Augen von Kannidos abzuwenden.
„Ich
ziehe mich wirklich gerne warm an, wenn ich das Gefühl habe,
krank zu werden“, antwortete Kannidos und fügte dann betont gelassen hinzu: „Meine Lektorin wird das
bestätigen können, wenn Sie mir nicht glauben.“
Der
Beamte lächelte und blickte auf seinen Notizblock. Für einen Moment
hatte Kannidos das Gefühl, der Scherz würde die Situation
entschärfen. Doch sein Geliebter nutzte die Gelegenheit, seiner Anspannung Luft zu machen: „Es geht doch
offensichtlich um mich und nicht um ihn.“
Der
Beamte sah von seinen Notizen auf. Doch statt seinen Geliebten sah er
Kannidos an, während er geduldig antwortete: „Nein, so eindeutig
ist das nicht.“
„Was
soll das denn heißen?“, unterbrach sein Geliebter weiterhin
aufgebracht, „Rede doch mal mit mir.“
„Du
weißt doch, wie das läuft. Ich stelle ihm ein paar Fragen, damit
ich unvoreingenommene Antworten bekomme. Ich tue dir schon einen
Gefallen damit, dass du überhaupt dabei sein darfst.“ Jetzt sah der Beamte
Kannidos' Geliebten zum ersten Mal an. Und seufzte, als würde ihm
klar, dass diese Erklärung nicht ausreichte. „Wir reden danach
darüber, in Ordnung?“
„In
Ordnung. Entschuldige.“
Der
Beamte sah ihn gerade lange genug nachdenklich an, um aus seinen
Worten mehr als eine Floskel zu machen. „Nein, ich verstehe das
schon. So.“ Er wandte sich wieder Kannidos zu, rückte näher an
ihn und den Tisch heran. „Ich fange vielleicht damit an, was mich
nicht interessiert. Ich interessiere mich nicht dafür, was du in der
Wohnung gemacht hast, aus der du gerade hergekommen bist oder was du
von dort mitgebracht und in die Schubladen in deinem Arbeitszimmer
gelegt hast. Was mich dagegen sehr interessiert, ist, ob du weißt,
was das hier ist.“
Er
holte etwas aus der Innentasche seiner Jacke, einen durchsichtigen
Plastikbeutel. Darin war ein kleiner, selbstgedruckter
Kunststoffkasten, in dessen Innenleben man durch die Ritzen
hinschauen konnte, aus denen unsicher ein Universalanschluss ragte.
Die nächste Geschichte erscheint in zwei Wochen. Die Kannidos-Reihe basiert auf Der Beste Staat. Darin findet ihr mehr Geschichten aus der Guten Ordnung.
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