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Kannidos Teil 7: Eindringling

Kannidos war noch leicht benommen, als er am nächsten Morgen aus der Wohnung seines Lieferanten trat. Die Nacht hatte er auf dessen Sofa verbracht. Er steckte die Hände in die Manteltaschen und fand einen Zettel darin: Verwundert blickte er darauf, ehe er ihn wieder wegsteckte und den Heimweg antrat.
„Bin auf dem Weg. Will noch was zu Papier bringen“, antwortete er seinem Geliebten, als dieser fragte, ob er bald nach Hause komme.
In der Bahn schickte er seinem Rivalen die Kritik, die er fertig gebracht hatte, nachdem sein Lieferant eingeschlafen und die anderen Gäste gegangen waren. Gleichzeitig waren ihm einige Ideen für sein eigenes Werk gekommen: Mehr als er in den letzten Wochen zusammengebracht hatte. Wie so vieles entließ er auch seine Anspannung, die angestaute, für den Ernstfall bereitgehaltene Energie, in sein Schreiben.
Ohne auch nur von seinem Telephon aufzusehen, auf dem er wild Notizen, Gedanken, Satz- und Gesprächsfetzen notierte, griff er in seine Manteltasche nach seinem Schlüssel. „Entschuldigen Sie“, sprach ihn jemand an. Erst jetzt blickte er auf.
„Entschuldigen Sie“, wiederholte der Hilfspolizist mit fehlgeleiteter Autorität in der Stimme und stellte sich ihm in den Weg.
„Was ist denn los?“, fragte Kannidos verwirrt, als er schließlich angehalten hatte, „Das ist meine Wohnung. Ist was passiert?“ Ein Pulk aus Uniformierten und Kriminaltechnikern tummelte sich vor seiner Tür.
„Ach, das sind Sie“, antwortete der Hilfspolizist und schaute auf sein Telephon, dann zu Kannidos, als wollte er sich vergewissern. Immerhin: Sie waren wohl nicht seinetwegen hier, „Das kann ich Ihnen nicht sagen.“
„Bitte?“, fragte Kannidos. Es konnte nichts Furchtbares passiert sein, immerhin hatte sein Geliebter ihm gerade noch eine Nachricht geschrieben. Aber dass dieser Möchtegernordnungshüter ihm nicht einmal das sagte, machte ihn ein wenig wütend: „Ich wohne hier, mein Freund ist da drin und Sie können mir nicht sagen, ob in meiner Wohnung eine Bombe explodiert oder jemand eingebrochen ist? Wäre es nicht Ihre Aufgabe, mich wenigstens zu beruhigen, mir zu sagen, dass niemandem etwas passiert ist, damit ich nicht in Panik gerate?“
„Nein“, antwortete der Hilfspolizist plötzlich verunsichert. „Ich meine, doch. Also… es ist keine Bombe. Äh. Ihrem Freund geht es gut. Ich.“ Er stockte und Kannidos konnte genau beobachten, wie er innerlich vor der Situation kapitulierte, ehe er „Der Freund ist hier“ in sein Telephon sprach.
„Schick ihn rein“, antwortete jemand.
Kannidos war schon an dem Hilfspolizisten vorbei, als dieser ihn gerade erst hineinwinken wollte. Hoffentlich nahm ihm das die Illusion irgendeiner Autorität – und hoffentlich würde er das nicht an jenen auslassen, die ihm im Gegensatz zu Kannidos ohne den Schutz sozialen Status' ausgeliefert waren.
In seiner Wohnung hielt Kannidos kurz im Flur inne, um seine Schuhe abzuwerfen. Ein Polizist kam aus seinem Arbeitszimmer: Das war beunruhigend. Ein anderer winkte ihn durch die Tür zu seiner Rechten. Immerhin würde er in bekanntem Gelände kämpfen: Mit der Wahrheit auf dem Rückzug und umringt von Halbwahrheiten.
„Hey“, warf er seinem Geliebten in der Küche zu.
„Hey“, antwortete dieser. Er stand mit verschränkten Armen gegen den Herd gelehnt. Vor ihm saß am Küchentisch ein dicklicher Polizist in einem kurzärmligen weißen Hemd.
„Guten Tag, Kannidos“, grüßte der Polizist, „Setz dich doch und schließe die Tür.“
Kannidos tat wie geheißen, steckte die Hände in die Manteltaschen und setzte sich.
„Ist dir kalt?“, fragte der Beamte ohne guten oder bösen Willen in seinem Tonfall.
„Er zieht sich warm an, wenn er das Gefühl hat, krank zu werden“, antwortete sein Geliebter für ihn.
„Ich fände es besser, wenn er selbst antworten würde“, entgegnete der Beamte, ohne die stechenden blauen Augen von Kannidos abzuwenden.
„Ich ziehe mich wirklich gerne warm an, wenn ich das Gefühl habe, krank zu werden“, antwortete Kannidos und fügte dann betont gelassen hinzu: „Meine Lektorin wird das bestätigen können, wenn Sie mir nicht glauben.“
Der Beamte lächelte und blickte auf seinen Notizblock. Für einen Moment hatte Kannidos das Gefühl, der Scherz würde die Situation entschärfen. Doch sein Geliebter nutzte die Gelegenheit, seiner Anspannung Luft zu machen: „Es geht doch offensichtlich um mich und nicht um ihn.“
Der Beamte sah von seinen Notizen auf. Doch statt seinen Geliebten sah er Kannidos an, während er geduldig antwortete: „Nein, so eindeutig ist das nicht.“
„Was soll das denn heißen?“, unterbrach sein Geliebter weiterhin aufgebracht, „Rede doch mal mit mir.“
„Du weißt doch, wie das läuft. Ich stelle ihm ein paar Fragen, damit ich unvoreingenommene Antworten bekomme. Ich tue dir schon einen Gefallen damit, dass du überhaupt dabei sein darfst.“ Jetzt sah der Beamte Kannidos' Geliebten zum ersten Mal an. Und seufzte, als würde ihm klar, dass diese Erklärung nicht ausreichte. „Wir reden danach darüber, in Ordnung?“
„In Ordnung. Entschuldige.“
Der Beamte sah ihn gerade lange genug nachdenklich an, um aus seinen Worten mehr als eine Floskel zu machen. „Nein, ich verstehe das schon. So.“ Er wandte sich wieder Kannidos zu, rückte näher an ihn und den Tisch heran. „Ich fange vielleicht damit an, was mich nicht interessiert. Ich interessiere mich nicht dafür, was du in der Wohnung gemacht hast, aus der du gerade hergekommen bist oder was du von dort mitgebracht und in die Schubladen in deinem Arbeitszimmer gelegt hast. Was mich dagegen sehr interessiert, ist, ob du weißt, was das hier ist.“
Er holte etwas aus der Innentasche seiner Jacke, einen durchsichtigen Plastikbeutel. Darin war ein kleiner, selbstgedruckter Kunststoffkasten, in dessen Innenleben man durch die Ritzen hinschauen konnte, aus denen unsicher ein Universalanschluss ragte.


Die nächste Geschichte erscheint in zwei Wochen. Die Kannidos-Reihe basiert auf Der Beste Staat. Darin findet ihr mehr Geschichten aus der Guten Ordnung.
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