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Impfen aus Hass

Impfen ist notwendig und die Erde ist keine Scheibe. Darüber gibt es gleichermaßen nichts zu diskutieren. Viel gäbe es aber darüber zu diskutieren, was aus Ersterem politisch folg. Allein: Die Impfbefürworter sind zu sehr damit beschäftigt, sich an der politisch irrelevanten Gruppe der Impfgegner abzuarbeiten, als dass sie sich darüber klar würden, dass es in ihren eigenen Reihen erheblichen politischen Dissens gibt – und keineswegs nur ausgemachte Menschenfreunde. Manchen Impfbefürworter treibt mehr der Hass um, der Wunsch Impfgegner und ihre Kinder zu bestrafen, als sie vor Gesundheitsschäden und vermeidbaren Todesfällen zu bewahren.

Dabei beginnt der politische Dissens schon bei der Frage, was eigentlich diese Impfpflicht sein soll, die in aller Munde ist.
In Brandenburg wurde sie nun angeblich eingeführt, so darf man es den Schlagzeilen entnehmen, für Kitas und Masern. Tatsächlich wurde die dortige Landesregierung nicht vom Parlament beauftragt, Ärzte zu entsenden, um Kita-Kinder mit Süßigkeiten in Rettungswagen zu locken und gegen den Willen ihrer Eltern zu impfen. Stattdessen sollen ungeimpfte Kinder schlicht ausgeschlossen werden. Das mag aus den begrenzten Möglichkeiten der Landespolitik heraus als Provisorium verständlich sein, als vorübergehende Gefahrenabwehrmaßnahme, um das Ansteckungsrisiko zu verringern und bloß Nachlässige zum Impfen zu motivieren. Auf lange Sicht wäre dieser Zustand aber untragbar.
Ganz anders sieht das zum Beispiel der Vorsitzende der kassenärztlichen Vereinigung Bremen, dessen Zitat sich als Sharepic der tagesschau einiger Beliebtheit erfreute: Der hatte schon im März erklärt, eine echte Impfpflicht gehe ihm zu weit. Nicht zu weit geht ihm dagegen die Forderung, Kindern, denen ihre Eltern schon den Impfschutz vorenthalten, auch noch den Zugang zu Bildung zu nehmen, indem diese aus Kitas, Schulen und Universitäten verbannt werden. Statt zu helfen, soll dem Schaden, der durchs Nichtgeimpftsein entsteht, einfach noch einer drauf gesetzt werden. Aber nicht einmal gesellschaftliche Isolation genügt dem Rachegott des Impfens: Ärzten, die Impfgegnern die Behandlung versagen wollen, wolle man dabei keine Steine in den Weg legen. Das ist schon in sich bemerkenswert, wenn einem Vorsitzenden einer kassenärztlichen Vereinigung betont egal ist, wenn Menschen von medizinischer Versorgung ausgeschlossen werden.

Hier spricht nicht mehr die Sorge um die Gesundheit der Ungeimpften, sondern das blanke Strafbedürfnis, und wenn es um die Kinder von Impfgegnern geht, richtet sich dieses Bedürfnis gegen die gesamte, ganz bürgerlich-konservativ zur Schicksalsgemeinschaft stilisierten Familie. Da ist es nur eine Randnotiz, dass sich manch Impfgegner freuen wird, wenn deren Kinder qua Nichtimpfung dann sowohl der Schulmedizin als auch der Schulpflicht entgehen. Während bei Kindern, die aus medizinischen Gründen keinen wirksamen Impfschutz erhalten können, gilt, dass diese ja nichts dafür können und daher nicht durch Bildungsausschluss bestraft werden dürfen, sollen die Kinder von Impfgegnern plötzlich für deren Fehlentscheidungen voll schuldfähig sein. Impfgegnereltern seien schließlich eine Gefahr für andere Kinder. Wohlgemerkt nicht für die Kinder Anderer, sondern für jene Kinder, die nicht mit den Impfgegnern identisch sind.
Das Kind ist in dieser Logik nicht etwa ein eigener Mensch mit eigenen (Schutz)Rechten gegenüber seinen Eltern, sondern deren bloße Erweiterung, durch die die Impfgegner ihren Wahn ausleben und manche Impfbefürworter ihre Bestrafungsphantasien. Kein Wunder, dass beide Lager so tun, als sei es ein Ding der Unmöglichkeit, Kinder gegen den Willen ihrer Eltern zu impfen und es damit gut sein zu lassen. Dass man Kindern das Recht auf Gesundheitsschutz durch Impfung zusprechen könnte, wie man ihnen schon das Recht zugesprochen hat, nicht geschlagen zu werden, nicht im Familienbetrieb ausgebeutet zu werden und notwendige, lebensrettende medizinische Eingriffe zu erhalten, selbst wenn das alles nicht dem Willen der Eltern entspricht, würde schließlich nur den betroffenen Kindern dabei helfen, nicht an vermeidbaren Krankheiten zu sterben - und darum geht es in dieser Debatte schon lange nicht mehr.

Denn Impfsanktion statt Impfpflicht ist nicht etwa die randständige Ansicht eines verwirrten Arztes: Die zu Grunde liegende Haltung bricht sich auch in offener Menschenfeindlichkeit in den einschlägigen Kommentarspalten Bahn. Wenn es in den Meldungen um Impfgegner geht, die für die übergroße, geimpfte Mehrheit der Impfbefürworter tatsächlich keine Gefahr darstellen, tobt dennoch der Kommentarspaltenmob, obwohl es sonst immer an eher linken Bedenkenträgern ist, sich pflichtschuldig für die (immun)schwache Minderheit aufzuopfern. Dort hält man sich bei Witzen über Kindersterblichkeit für besonders fortschrittlich und zivilisiert. Dort fordert man, die Impfgegner mögen unter sich bleiben und Masernpartys feiern, weil sie sonst den Rest der Gesellschaft gefährden. Und der Einwand, dass das gegenüber deren Kindern eine wenig humane Einstellung sei, verhallt dort beinahe unbeachtet, wenn er überhaupt erhoben wird.
Die eher der Obrigkeitshörigkeit als der Einsicht in seinen Nutzen geschuldete Identifikation mit dem (medizinischen) Fortschritt, die solche Impfbefürworter betreiben, wird zum vermeintlich sozialadäquaten Vorwand, die als rückschrittlich Gebrandmarkten besonders widerlich behandeln zu dürfen. Dabei hat der Impfmob schon längst die Hüllen vorgeschobener Menschenfreundlichkeit abgeworfen.
Denn ginge es hier um den Schutz menschlichen Lebens, insbesondere wenn es nicht selbstbestimmt ist, sondern andere mit dessen Schutz betraut sind, die Diskussion müsste am heftigsten zwischen Befürwortern einer echten Impfpflicht und jenen entbrennen, die Impfgegner und deren Kinder zwar möglichst hart bestrafen, aber ansonsten sich selbst überlassen wollen. Diese als Selbstzweck strafende Gleichgültigkeit, die kein Menschenleben verbessern, aber um jeden Preis sanktionieren will und dafür selbst noch Kinder für ihre Eltern in Mithaftung nimmt, müsste insbesondere linken Impfbefürwortern aus etwa jeder Sozialstaatsdebatte übel bekannt vorkommen. Daran müssten sich die angeblich von reiner Menschenfreundlichkeit motivierten Impfbefürworter mehr stören, als an der fehlgeleiteten Sorge wenigstens derjenigen Impfgegner, die nicht vollends verrückte Esoteriker sind, sondern bloß überbesorgte Helikoptereltern und immerhin nicht regelmäßig den Kindern Anderer den Tod wünschen oder sich diesen farbenfroh ausmalen.
Tatsächlich wird der politische Dissens im zu Grunde liegenden Gesellschafts- und Menschenbild innerhalb der Impfbefürworter trotz dem eklatanten Unterschied für den Gesundheitsschutz der betroffenen Kinder, der ja angeblich eigentliche Motivation für die Ablehnung des Impfgegnertums sei, kaum thematisiert, schon gar nicht in der notwendigen Schärfe und regelmäßig nicht einmal als bedenkenswerte Differenz wahrgenommen. Entsprechend weit her ist es wohl auch bei den nicht offen menschenverachtenden Impfbefürwortern mit dem dem Motiv der Nächstenliebe.
Eine echte Impfpflicht, bei der ungeimpfte Kinder nur zur Gefahrenabwehr vorübergehend ausgeschlossen werden können, bis Kinderarzt und Jugendamt mal einen Hausbesuch abgestattet haben: So eine Impfpflicht müsste wohl auch gegen manch Impfbefürworter und dessen Strafphantasien erkämpft werden, wenn zusammen mit dem Gesundheitsrisiko auch die Rechtfertigung für die umfangreich erträumten Sanktionsmechanismen mit einem Pieks entfallen würden. Aber stattdessen fühlen sich die Impfbefürworter allseits wohl damit, bloß ihrer Selbstüberhöhung gegenüber den Impfgegnern freien Lauf zu lassen, sich besonders klug dabei zu fühlen, ihr oberflächliches Verständnis von Herdenimmunität, ihr Laienwissen darüber, warum manche Kinder nicht geimpft werden können, und ihr bei SPIEGEL ONLINE absolviertes Immunologie-Studium vor aller Welt wiederzukäuen.

Der Hauptantrieb der Impfdebatte ist leider nicht die Philantropie, sondern die Verachtung der Unwissenden durch die Halbwissenden.

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