„Wie
war's bei der PA?“, fragte Kannidos' Geliebter. Sie hielten
einander, nachdem sie sich zur Begrüßung geküsst hatten. Kannidos
antwortete nicht. Er hatte die Frage nicht einmal gehört.
„Alles
in Ordnung?“, setzte sein Geliebter grinsend nach.
„Tut
mir Leid. Ich habe mich gerade in deinen Augen verloren.“
Sein
Geliebter lachte. Er lachte ihn aus und Kannidos stimmte mit ein.
„Du
bist furchtbar kitschig, wenn du romantisch bist.“
„Romantisch
ist ein interessanter Euphemismus für das, was ich gerade bin.“ Er
küsste ihn.
Nachdem
sie einander geliebt hatten, duschte Kannidos. Er war in Gedanken bei
einem seiner Werke, er hatte sich vorgenommen zu schreiben. Fest
entschlossen setzte er sich ins Wohnzimmer, an den Esstisch auf einen
Stuhl. Er breitete seinen Taschenrechner mit Tastatur und
Stromanschluss darauf aus. Sein Geliebter hatte es sich indes auf dem
Sofa gemütlich gemacht, das nicht nur Telephone verschlucken konnte,
sondern auch jeden Antrieb zu arbeiten. Kannidos begann einige seiner
Notizen weiterzuführen. Aber etwas nagte an ihm.
„Also:
Wie war's bei der PA?“, fragte sein Geliebter schließlich vom Sofa
aus. Erneut, wie Kannidos erst jetzt bemerkte.
Um
sich von dem abzulenken, was dort aufgeworfen worden war, hatte er
sich den Rest des Vormittags in die Nische gesetzt. Das kleine Café,
in dem Schriftsteller ein und aus gingen, um zu schreiben, hatte
viele seiner treusten Kunden an das Amt für Gute Arbeit verloren.
Selbst den Geschichtenerzähler, mit dem er so gerne Zeit verbracht
hatte. Der jetzt ein Mittäter war. Genau wie Kannidos. Nur dass man
Kannidos nicht hatte entführen und umerziehen müssen.
„Von
allen Fragen nach meinem Tag, die du hättest stellen können …“,
seufzte Kannidos plötzlich schwermütig.
„Wir
müssen auch nicht darüber reden, wenn du nicht willst. Aber es
scheint dich zu bedrücken.“
„Nein.“
Er war in Gedanken wieder bei Kassandra. Bei dem, was er hatte sagen
müssen. Nicht einmal seinem Geliebten konnte er sich anvertrauen.
Besonders ihm nicht. Sollte er das Falsche sagen, müsste Kannidos
ihn verlassen. Oder schlimmer noch, würde er Kannidos verlassen,
sollte er ihn als das erkennen, was er wirklich war: Ein Verräter an
der Sache. Egal welcher. Kannidos wusste nicht, wer er noch war, was
überhaupt noch von ihm übrig blieb, wenn er auch ihn verlieren
würde. „Es lief gut. Sie werden mich wohl veröffentlichen.“
„Aber?“
„Kein
Aber. Tut mir Leid. Ich bin nur etwas im Schreiben versunken.“
„Erst
in meinen Augen und nun in deinen Werken. Wird es wieder ein
kitschiger Liebesgedichtroman?“
„Ja“,
verkündete Kannidos gespielt fröhlich. Mehr um sich selbst zu
überzeugen, als seinen Geliebten.
Der
seufzte etwas enttäuscht. „So viel verschenktes Potential.“ Sie
sahen einander an. „Du könntest mehr.“
Das
hatte er schon oft gesagt. Aber dieses Mal traf es Kannidos mehr als
sonst. Er starrte für ein paar Minuten die Textwand vor sich an, ehe
ihm klar wurde, dass er die Fassade nicht würde aufrecht erhalten
können.
„Ich
glaube, ich brauche meine Ruhe, damit ich das zu Ende bekomme“,
sagte er schließlich, während er sich erhob und hastig sein
Schreibzeug zusammensammelte. Er durfte ihn nicht erkennen.
„Du
meinst, du brauchst Inspiration“, antwortete sein Geliebter in dem
missbilligenden Ton, den Kannidos sonst so liebte, weil er sich so
leicht entwaffnen und in einen versöhnlichen Scherz verwandeln ließ.
„Mhmhh“,
machte Kannidos bestätigend.
„Mach
da drin mal die Fenster auf“, rief ihm sein Geliebter hinterher.
Er
hatte sich gerade so in sein Arbeitszimmer retten können, ehe er
zerbrach. Mit zitternden Händen schloss er die Tür ab, dann ließ
er sich vor seinem Schreibtisch in den Drehstuhl fallen und schlug
die Hände vor dem Gesicht zusammen. Sich zu verstecken, war ihm zur
Gewohnheit geworden. Er weinte still. Bedacht, kein Geräusch von
sich zu geben. Er weinte um Kassandra. Und um sich selbst. Um das
Leben, das hätte sein können, die Welt, die hätte sein können.
Was
für eine elendige Gestalt er doch war. Aber statt das zuzugeben –
wenigstens vor sich selbst – war er noch dazu ein Lügner, ein
Blender.
Er
schaltete seinen Rechner an, gab das Passwort ein und öffnete ein
Dokument. Die schwarzen Geschichten. Geschichten voller Traurigkeit.
Voller Einsamkeit. Voller elendiger Gestalten, ohne Hoffnung auf ein
gutes Ende. Geschichten, für die es keine Leser gab. Er schrieb
seinen Selbsthass aus sich heraus, bis er nicht mehr konnte.
Es
dauerte, ehe er sich beruhigt hatte. Dann griff er nach seiner
Inspiration, die er in einer verschlossenen Schublade aufbewahrte. Er
zündete sie an. Das tat er mittlerweile fast jeden Tag und nur für
seinen Termin bei der Publikationsaufsicht hatte er aufgehört, um
einen klaren Kopf und vor Allem ein klares Gedächtnis zu haben.
Die
Inspiration blockierte etwas in ihm. Den Teil, der zu der Regung Reue
in der Lage war. Sie half ihm beim Schreiben nur, indem sie ihm half
zu vergessen – oder sich wenigstens nicht erinnern zu müssen. Die
Gedanken und Erinnerungen drängten sich dann nicht mehr ungefragt
auf. Er hätte sich für sie entscheiden müssen. Aber das tat er
nicht.
Heute
wollte er sich dermaßen abschießen, dass er vollständig damit
ausgelastet sein würde, ein Mensch zu sein. Zu sitzen, zu essen, zu
atmen, vielleicht zu lieben. Aber für keinen weiteren Gedanken Platz
zu haben.
Er
stand leicht benebelt auf, öffnete die Tür.
„Mir
ist die Inspiration ausgegangen“, verkündete er, als er am
Wohnzimmer vorbeiging.
Sein
Geliebter lehnte sich wenig später in den Türrahmen und sah ihm
missbilligend dabei zu, wie er seine Schuhe anzog.
„Das
ist ein ganz schöner Euphemismus.“
„Wenn
du lieber offen aussprechen willst, worum es geht“, antwortete
Kannidos scherzhaft. Sein Geliebter lächelte widerwillig. „Außerdem
müsstest du mich verhaften, wenn du davon wüsstest.“ Er spielte
nicht. Er meinte den Scherz. Er meinte sein eigenes, verliebtes
Grinsen. Er konnte wieder ehrlich sein, er musste sein wahres Inneres
nicht mehr verstecken. Wie viel so wenig ausmachen konnte.
„Das
würde ja auch unsere Hochzeitspläne durcheinander bringen“, sagte
sein Geliebter, endgültig entwaffnet. „Aber im Ernst: Ich mache
mir nur Sorgen, dass dir das außer Kontrolle geraten könnte. Also
sage ich lieber etwas, damit du darüber nachdenkst. Solange du
sicher bist, dass du nicht übertreibst ...“ Er brachte den Satz
nicht zu Ende.
„Ich
weiß“, antwortete Kannidos ohne Gereiztheit, „Danke. Aber ich
will wirklich nur mein Buch zu Ende bringen, damit ich auch gleich
etwas für die PA habe. Und es hilft.“
„Worum
geht es dieses Mal überhaupt?“
„Nicht
um uns“, log Kannidos ehrlich und mit einem Lächeln. Es ging immer
um sie, um die guten Zeiten, die sie hatten. Das wusste auch sein
Geliebter, aber es war ihm ein wenig unangenehm. Also hatten sie
einen Scherz daraus gemacht.
„Hach“,
schwärmte Kannidos, „weißt du, wenn ich einmal ein reicher und
berühmter Schriftsteller bin, baue ich uns ein Haus mit einem Garten
– mitten in die Stadt.“ Sein Geliebter lachte ihn wieder aus und
küsste ihn zum Abschied. „Da kann ich dann meine eigene
Inspiration anbauen.“
Er
trat auf den Hausflur, in die Öffentlichkeit. Das Linoleum
quietschte unter seinen Füßen. Er sah sich um: Die Menschen flossen
vorbei, als hätten sie es nicht bemerkt. Er schob seinen Mantel hoch
und versteckte sein Kinn darunter.
Die nächste Geschichte erscheint in zwei Wochen. Die Kannidos-Reihe basiert auf Der Beste Staat. Darin könnt ihr schon jetzt mehr über die Gute Ordnung erfahren - und über den Geschichtenerzähler.
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