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Wie Europa die Linke retten könnte

Innerlinks heißt es: "Die Europäische Union wird sozial sein oder sie wird nicht sein." Dabei ist es andersherum. Der Sozialstaat wird entweder europäisch sein - oder er wird nicht sein.  Statt Bekenntnissen für oder gegen Europa braucht es eine Zweckbestimmung.

Das europäische Projekt braucht vielleicht die politische Linke, aber vor Allem braucht die politische Linke ein europäisches Projekt. Es wäre nicht einfach nur strategisch unklug, die diplomatische, wirtschaftliche, politische und nicht zuletzt symbolische Macht einer Europäischen Union aufzugeben: Es wäre das Ende jeder ernstzunehmenden Betätigung der politischen Linken.

Die Friedensunion

Schon wer den eigenen Anspruch ernst nimmt, Friedensstifter sein zu wollen, und mehr noch: damit ernst genommen werden will, kann die Europäische Union nicht links liegen lassen. Oder gar ihr Ende herbeisehnen. Jedenfalls solange dieser Anspruch bedeutet, aktiv an einer friedlicheren Welt zu arbeiten und sich nicht bloß aus ihr zurückzuziehen.

Mit ihrem bloßen Fortbestand tritt die Europäische Union den Beweis an, dass es möglich ist, selbst einstige Erbfeinde in friedlichem Miteinander zusammenzuführen. Ihretwegen droht keine Koalition aus Frankreich und Polen dem deutschen Nachbarn in einem Kabinettskrieg klarzumachen, wie ernst es um ihre Ablehnung von Nordstream II bestellt ist. Wenn selbst über die Schützengräben zweier Weltkriege die Brücken friedlichen Zusammenlebens und offener Grenzen geschlagen werden können: Was soll da noch Nationalismus?

Wer beklagt, dass die Europäische Union ihre historischen Erfahrungen und ihre Machtmittel nicht für einen menschengerechten Frieden in der Welt einsetzt, hat den besten Grund gefunden, diese Machtmittel in die Hände linker Mehrheiten zu bringen, statt sie aufzugeben oder anderen zu überlassen. Von Berlin aus wird der Weltfrieden jedenfalls noch weniger auszurufen sein, als von Brüssel. Auf die Nationalstaaten zu setzen, hieße die eigene Machtlosigkeit zu akzeptieren, auch in Friedensfragen.

Die Werteunion

Die Nationalstaaten der europäischen Einigung vorzuziehen, hieße aber auch, autoritäre Entwicklungen wie in Ungarn hinzunehmen und reale Möglichkeiten aufzugeben, dem nationalen Abbau von Demokratie und Menschenrechten entgegenzuwirken. Dass die Europäische Union dazu noch nicht in der Lage ist, spricht nur dafür, sie gegenüber den Nationalstaaten zu stärken, statt diesen noch nicht einmal mehr die geringsten Hürden internationaler Verpflichtungen entgegenzusetzen.

Demokratie beinhaltet auch, dass über die gemeinsame Wirtschaftsweise gemeinsam entschieden wird, in Wahlen und Abstimmungen, bei denen jede Stimme gleichermaßen zählt und verbindlich ist. Das Europäische Parlament mit den entsprechenden Rechten gegenüber den Regierungen der Mitgliedstaaten auszustatten, wäre die konsequente Fortschreibung des europäischen Projektes innerhalb der Europäischen Union. Dafür müsste die politische Linke begeistern, besonders in jenen Mitgliedstaaten, deren Regierungen ein Mehr an Europa verhindern und somit Quelle des Demokratiedefizites der EU sind. Ohne machtvolle, demokratisch legitimierte, gemeinsame Institutionen setzt sich sonst ungebrochen die wenig demokratische deutsche Wirtschaftsmacht gegen die europäischen Nachbarn durch.

Schon jetzt ist die EU-Kommission wohl die einzige Institution, die Deutschland davon abhalten könnte, sich auf Kosten von Klimaschutz und Umweltstandards Wettbewerbsvorteile gegenüber den anderen europäischen Staaten zu verschaffen. Werteunion zu sein, gilt auch für Abgaswerte. In einem vorherigen Beitrag ging es darum, dass es zur Verhinderung des Klimawandels große gesellschaftliche Lösungen braucht, nicht Vereinzelung. Die gebündelte wirtschaftliche und politische Macht der Europäischen Union könnte auch auf dem über Europa hinausweisenden, internationalen Parkett den Klimaschutz wohl effektiver voranbringen als einzelne Nationalstaaten.

Die Sozialunion

Nicht zufällig setzen viele junge Leute, denen friedliches Zusammenleben, Klimaschutz und  individuelle Freiheitsrechte am Herzen liegen, ihre Hoffnungen auf die Europäische Union. Sie ahnen, dass das alles nur gemeinsam, nicht gegeneinander zu haben ist. Entsprechend misstrauisch reagieren sie auf jene Teile der politischen Linke, die damit liebäugeln diese Union, ihre Errungenschaften, aber vor Allem ihr Potential aufzugeben.

Was aber sowohl eher liberalen Europapatrioten als auch antieuropäischen Linken zu fehlen scheint, ist die Einsicht, dass die Entwicklungen, zu deren Verhinderung wir die Europäische Union brauchen, Ergebnis kapitalistischer Konkurrenz zwischen den vereinzelten Nationalstaaten sind. Wer die in jedem Lebensbereich erfahrene Konkurrenzlogik für sich annimmt, wird konsequenterweise versuchen über Nationalismus und den Abbau von Menschenrechten, Vorteile für "das Eigene" zu organisieren, um dessen Überlegenheit im vermeintlich fairen Wettbewerb zu beweisen. Aber selbst der überzeugteste Linke kann sich der Realität kapitalistischer Konkurrenz nicht entziehen.

Solange Unternehmen billige Arbeit brauchen, um gegen ihre Konkurrenten zu bestehen, haben die einzelnen Nationalstaaten einen heftigen Anreiz, diese billige Arbeit auch bereitzustellen. Nur ein Mitgliedstaat muss sich über die Senkung von Sozialstandards einen Vorteil verschaffen, damit die anderen entweder nachziehen, oder wirtschaftlich zurückfallen. Hartz IV war entsprechend mehr als bloß der Sündenfall der Sozialdemokratie und die Beseitigung sozialer Sicherheit in Deutschland. Hartz IV war ein wirtschaftlicher Angriff Deutschlands auf seine europäischen Nachbarn. Es ist eine weitere Eskalationsstufe in einem Wirtschaftskrieg "jeder gegen jeden" namens Kapitalismus und wird nicht langfristig rückgängig zu machen sein, ohne dass die europäischen Nachbarn ebenfalls abrüsten.

Wer einen deutschen Sozialstaat will, wird sich auch über den polnischen, französischen und italienischen, also den europäischen Sozialstaat Gedanken machen müssen. Gerade weil sie den innereuropäischen Wettbewerb regelt, könnte die Europäische Union in Zukunft dafür sorgen, dass Konflikte zwischen den Mitgliedstaaten ebensowenig mit wirtschaftlichen Mitteln ausgetragen werden wie mit militärischen, sondern gemeinsam, demokratisch gelöst werden. Wenn es denn eine politische Linke gäbe, die sich dafür einsetzt.

Nicht die Sowjetunion

Eine von links gestaltete Europäische Union könnte soziale, ökologische und menschenrechtliche Belange über die innereuropäische Konkurrenz erheben und gegen diese absichern. Aber bereits jetzt eskalieren die Verwerfungen zwischen den großen Wirtschaftsmächten der Welt. Dem wird sich die EU langfristig nicht entziehen können. Noch weniger aber könnten es die vereinzelten Nationalstaaten.

In Zukunft wird nicht der wirtschaftliche Wettbewerb zwischen Frankreich und Deutschland darüber entscheiden, ob europäische Sozialstandards zu halten sind: Sondern die Konkurrenz zwischen Europa und China, zwischen China und den USA, zwischen den USA und Europa. Wir können hoffen, dass es bis dahin ein Europa gibt, das sich auch auf der internationalen Ebene um Menschenrechte und Frieden, um wirtschaftlichen und sozialen Ausgleich bemüht. Oder wir können dafür sorgen.

Die einzige, real existierende Institution, die das leisten könnte, das einzig wirksame Werkzeug, um die Europäische Union zu verändern, ist die Europäische Union selbst. Sie aufzugeben wäre eine Bankrotterklärung der politischen Linken, der große Abgesang auf die Umsetzung der eigenen Ideen. Denn linker Internationalismus ist keine Frage der Moral, sondern der Notwendigkeit. Der “Sozialismus in einem Land” ist gescheitert.


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