von Auslandskorrespondent Karl
Der deutsche Mob
marschiert wieder. PEGIDA und andere Abkü-Nazis, brennende Asylheime
und Friedenswinter. Jene autoritären Charaktere in der Parteienlandschaft, die sich bisher noch
zumindest als demokratisch-kapitalistisch gerierten, schielen allmählich schon wieder zum barbarischen Mob hinüber, von Diether
Dehm bis Horst Seehofer. Damit verbunden steht auf Seiten der noch
verbliebenen Zivilgesellschaft immer mehr Kapitulation; halb-ironische Spendenmärsche statt Gegenprotest, weil einfach nicht
genügend Menschen mobilisiert werden können. Wo es vor einem Jahr
noch hieß, man solle die Nazis einfach marschieren lassen, die
würden doch niemanden interessieren, sind heute meist die
Gegendemonstranten wieder deutlich in der Unterzahl. Aber warum
gerade jetzt? Und warum scheinen beispielsweise die Pegida-Menschen
so unzugänglich für Argumente? Erklärungsversuche:
Durch die „taz“ habe
ich davon erfahren, dass es im Deutschen Kaiserreich einen Verein zur
„Abwehr des Antisemitismus“ gab, der es sich zur Aufgabe gemacht
hatte, Antisemitismus durch Argumente und Fakten zu bekämpfen.
Angesichts des gewaltigen Ausmaßes an abgedrehtem Unfug, den
Antisemit*innen so von sich geben, von Weltverschwörung bis
Kindesmord, sollte das ja eigentlich ein geradliniges Unterfangen
sein. Das grandiose Scheitern dieser Idee ist historisch
offensichtlich, war aber auch schon bald für die interessierten
Zeitgenoss*innen abzusehen.
Heute schwirren in den
sozialen Medien und Kommentarspalten Argumente, Auflistungen und
Statistiken umher, die allesamt belegen, dass die Grundlage für die
zentralen PEGIDA-Thesen völliger Unsinn sei. Die Kommentator*innen
in den noch halbwegs vernünftigen Zeitungen überbieten sich
gegenseitig an Argumenten, warum das Gerede von „Islamisierung“
Quatsch ist. Es scheint ein wiederkehrendes Phänomen zu sein,
offensichtlich fremdenfeindlichen Unsinn nicht durch rationale
Argumente entkräften zu können. Aber sind die Leute einfach zu
dämlich, um zu verstehen, was 2% bedeutet? Nein, es ist etwas
komplexer.
Die Idee, PEGIDA mit
Argumenten bekämpfen zu können, speist sich aus dem Irrtum, es
handele sich beim Rassismus von PEGIDA nicht um Rassismus, sondern um
Vorurteile. Das ist ein sehr entscheidender Unterschied. Ein
Vorurteil ist ein durch mangelndes Wissen hervorgerufener Irrtum, der
individuell auflösbar ist. Wenn ich denke, dass in Indien alle Leute
Turban tragen, kann ich durch Fakten oder einen Besuch eines Besseren
belehrt werden.
Rassismus hingegen ist
eine Ideologie der Ungleichwertigkeit, in seiner Natur eine
Projektion, die in ihrer heutigen Erscheinung als
Abgrenzungsmechanismus eng an die Konkurrenzverhältnisse einer
warenproduzierenden Gesellschaft gekoppelt ist. Oder einfacher
gesagt: Wenn es dir scheiße geht, du das System an sich aber nicht
hinterfragst, dann muss irgendjemand Schuld sein.
Wenn die Struktur als gut
oder natürlich wahrgenommen wird, deine Rente aber trotzdem mies
ist, dann bleibt ja nur noch die Möglichkeit, dass jemand einen
Fehler gemacht haben muss, sich also nicht entsprechend dieser
Struktur verhalten hat. Dass innerhalb der Logik dieser Struktur sich
eigentlich alle richtig verhalten und am Ende trotzdem alles scheiße
ist, dass dann vielleicht an der Logik der Struktur selbst etwas
nicht stimmt, auf diesen Gedanken kann ein Patriot genau so wenig
kommen wie ein Rassist. Diese Schuldabwehr bei gleichzeitiger
Bestätigung der Gesamtstruktur, das meine ich hier, vereinfacht, mit
Projektion.
Was hat das mit
Kapitalismus zu tun? In einer von Konkurrenz bestimmten Gesellschaft
droht nicht nur allen jederzeit der Absturz, sondern auch wenn sie
nicht abstürzen, sind alle doch permanent mit dem Zwang zur
Konkurrenz und der Unterordnung unter gesellschaftliche und
staatliche Strukturen konfrontiert. Diese Unterordnung ist immer mit
der Konkurrenz verknüpft. Am Beispiel Geschlecht in unserer
patriarchalen Gesellschaft kurz verdeutlicht: Du musst nicht nur ein
Mann sein, du musst auch männlicher sein als der Rest. Wenn du schon
kein Mann sein kannst, dann musst du wenigstens eine Frau sein, auf
jeden Fall aber eines von beiden. Einfach du selber kannst du gar
nicht sein, weil du im jeweiligen Bereich wieder konkurrieren können
musst. Konkurrenz und Wertform sind also keinesfalls nur ökonomische
Kategorien, sie durchziehen das gesamte Leben. So ist es auch nicht
abwegig, dass Rassismus etwas mit Kapitalismus zu tun hat.
Wer jetzt aber denkt,
dass aus der Leistungsgesellschaft „abgestürzte“ Personen eher
zu beispielsweise Rassismus neigen, wird sich PEGIDA nicht erklären
können, weil da eben kein abgehängtes extremes Element
aufmarschiert, sondern die stabile Mitte.
Das liegt an einem
fundamentalen Irrtum: Keineswegs betrifft der Zwang zur Konkurrenz
und damit der Hang zur Projektion nur jene, die von der Gesellschaft
abgehängt sind. Es betrifft jedes einzelne Individuum in einer
warenproduzierenden Gesellschaft. Ganz egal ob ich 10 oder 100 Euro
die Stunde verdiene, ganz egal wie männlich oder weiblich ich bin,
konkurrieren muss ich so oder so, endgültig zufrieden ist
eigentlich nie irgendjemand.
Wenn nun also über diese
Kategorien von Konkurrenz und allem, was damit zu tun hat, nicht mehr
nachgedacht wird, dann wird, wie oben beschrieben, ein Schuldiger
gebraucht. Es geht bergab mit der Wirtschaft, obwohl das System an
sich gut ist? Dann haben wohl die Juden böswillig die Kontrolle
übernommen! Du hast Probleme mit deiner Männlichkeit? Na die
Ausländer nehmen dir die Frauen weg! Im Nahen Osten kollabiert ein
gesamtes Staatensystem und das lässt dich Angst um deinen eigenen
Staat haben? Kann mit Strukturen ja nichts zu tun haben, also sind
Muslime wohl einfach kriegerisch, deswegen sollen die mal nicht hier
her.
Die Projektion von
Problemen auf Andere ist also untrennbar mit der Affirmation der
Kategorien verbunden, im Falle von PEGIDA beispielsweise dem
Nationalstaat. PEGIDA klammert sich an alles, was den brutal
konkurrierenden Subjekten in der sozialen Kälte noch bleibt: Die
falsche Wärme der Volksgemeinschaft.
Aber Moment mal: Geht es
nicht um die „Islamisierung des Abendlandes“? Diese
Ausweichformulierung ist so lächerlich, wie sie entlarvend ist: denn
es laufen ja doch alle mit Deutschlandfahnen statt mit
„Abendlands-Bannern“ herum, das Christentum ist vermutlich auch
allen egal. Der Bezugspunkt der Identifikation ist letztlich
austauschbar. Ob Schwarz-Rot-Gold, Schwarz-Weiß-Rot oder
Schwarz-Rot-Schwarz, die Volksgemeinschaft zählt. Und
Schwarz-Rot-Gold hatten die meisten nun mal noch von der WM zu Hause.
Wichtig ist nur, an irgendetwas anknüpfen zu können, was alle
kennen und sich zur Volksgemeinschaft eignet. Und Deutschland kennen
alle.
Die vermeintlichen
Traditionen und Werte werden so bis zur Unkenntlichkeit aufgeblasen
und verdreht. Auf einem Flyer der Bewegung war beispielsweise
kürzlich zu lesen, in Deutschland werde schon seit tausenden von
Jahren Weihnachten gefeiert, schon lange vor der Christianisierung.
Absurd, aber nötig, um das Konzept der zeitlosen
Schicksalsgemeinschaft als Fels in der Brandung des Kapitalismus zu
bekräftigen. Es wird sich also implizit positiv auf die
kapitalistischen Kategorien von Konkurrenz bezogen, gleichzeitig wird
die Volksgemeinschaft gegen genau diesen Kapitalismus in Stellung
gebracht. Dass Nationalstaaten selbst kapitalistische Konstrukte
sind, merkt man zwar alle zwei Meter, aber in der Logik von PEGIDA hat die Politik an diesen Stellen eben das „Volk verraten“. Dass
Politiker*innen innerhalb der Logik von Politik und Nationalstaat
alles genau so machen, wie geplant und es den Individuen am Ende
trotzdem schlecht geht, darauf kommen die Patrioten nicht. Das
Prinzip: Das System ist gut, es gibt Leute, die vom „Volk“
losgelöst sind (Politiker/Lobbyisten/Juden), die die Fehler machen.
Genau so künstlich wie
der positive Bezugspunkt ist der Anlass der Abgrenzung. Es hätte für
islamfeindliche Bewegungen viele Vorwände gegeben in den letzten
Jahren. Nach den Anschlägen auf das World-Trade-Center zum Beispiel oder nach den
Bombenanschlägen in Madrid. Die reale Gefahr von islamistischem
Terrorismus war zu dieser Zeit für die Deutschen vermutlich deutlich
größer als heutzutage. Der IS hat zumindest bis jetzt keine
nennenswerten Versuche unternommen, international terroristisch aktiv
zu werden. Warum also jetzt PEGIDA, DüGIDA, KaGIDA und andere? Warum
nicht 2001?
Wie schon argumentiert,
ist die reale Gefahr, die vom Objekt der Projektion ausgeht, relativ
unbedeutend, wie man auch am Antisemitismus sehr gut nachvollziehen
kann. Es muss auch hier nur ein Anknüpfungspunkt da sein. Viel
wichtiger ist, dass der Kapitalismus und damit das übergeordnete und durch die Projektion zu legitimierende Bezugssystem global gerade
etwas mehr als sonst den Bach runter geht, wodurch sich der Drang zur
Projektion und zur Welterklärung steigert. Die Staaten im Nahen
Osten sind größtenteils nur noch sehr euphemistisch als Staaten zu
erkennen, es ist nicht so richtig absehbar, wie sich das in näherer
Zeit wieder ändern soll. Außerhalb der kleinen Insel Deutschland
geht es auch in Europa bergab, das kleine Bisschen verbliebener
Wohlstand wird mit Subventionierung und tausenden Toten an den
Außengrenzen erkauft.
Dass außerhalb dieser
Insel die ganze Welt allmählich in sich zusammenfällt, das ruft
auch bei Patrioten Abwehrreaktionen und entschuldigende
Erklärungsversuche hervor. Die erlösende Erklärung: Deutschland
geht es so gut aufgrund von angeblichen Vorteilen in der Kultur (hieß
zu Zeiten des Kolonialismus noch Rasse, meint aber das Gleiche).
Diese müssen nun gegen alles von außerhalb verteidigt werden.
Gleichzeitig ist es damit auch unbedingt notwendig, sich in die
falsche Wärme dieser Gemeinschaft zu fügen. Der Gedanke beinhaltet
also die berüchtigte Kombination aus Einschluss und Ausschluss.
Daher wird in einem
Atemzug gegen Flüchtlinge und Islam gehetzt, ob Türkei oder Syrien,
ganz egal, beides bedroht angeblich Standortvorteile, auf die sich
die so genannten „Werte“, die diese Menschen verteidigen wollen,
letztlich reduzieren lassen.
Hinzu kommt der neue
Krieg in Europa in der Ukraine, auch ein Anlass, angesichts einer
allmählich kollabierenden Weltordnung eifrig zu projizieren, in
diesem Fall in Form des „Friedenswinters“ auf Amerika,
Rothschilds und letztlich die Juden. Ivo Bozic hat in seinem
Kommentar in der Jungle World sehr schön nachgewiesen, wie wenig
sich diese beiden Bewegungen, Pegida und „Friedenswinter“
eigentlich nehmen. Und das Publikum ist an der Basis auch ein
ähnliches, wie ein Blick in die sozialen Netzwerke zeigt, über die
sich beide Bewegungen maßgeblich organisieren. In beiden Fällen
erhebt sich das „Volk“ gegen... genau: Irgendwen.
Die Zielscheibe ist
zumindest für die Projektion selbst unwichtig, da wird fröhlich auf
alles aufgebaut, was an Ressentiment ohnehin schon da ist. Der erste
Teil ist der Entscheidende: Das Volk! Das ist eine weitere Stärke
von Friedenswinter und PEGIDA; sie bleiben bei der Formulierung ihrer
Zeile so vage wie möglich, alles politisch Konkrete wird wie der
heiße Brei gemieden. Selbst die Demos heißen daher „Spaziergänge“.
Was wirklich zählt ist der Rückbezug auf die falsche und
imaginierte Volksgemeinschaft, irgendetwas vermeintlich Zeitloses
(schon vor der Christianisierung und so), an das man sich noch
klammern kann, wenn alles Andere den Bach runtergeht. Wenn
Weihnachten in Deutschland schon die Christianisierung schadlos
überstanden hat, dann bleibt das wohl für immer.
Das bedeutet aber auch,
dass diese Menschen zwangsläufig Argumente übersehen müssen, um
die Projektion aufrechtzuerhalten. Sie müssen
alles übersehen, ausblenden oder als Verschwörung in ihr Weltbild
integrieren („Politiker/Medien/Juden belügen uns“), was ihnen
bei der Projektion im Weg steht. Es steht nämlich nicht nur der
Glaube an ein gut gehütetes Vorurteil auf dem Spiel, sondern die
gesamte Weltsicht.
In
einem Artikel in der ZEIT wundern sich Lenz Jacobsen und Anne
Hähning, dass bei einer Infoveranstaltung zu einem geplanten
Asylbewerberheim in Dresden-Klotzsche, parallel zur PEGIDA-Demo, von
den Asylgegner*innenn eigentlich niemand an Argumenten interessiert ist:
„Doch das [Statistiken] reicht nicht, um in Klotzsche zu gewinnen. Als nächstes meldet sich ein junger Mann. Eine Frage hat er eigentlich nicht, so wie die meisten hier, sie wollen auch nichts lernen von den Staatsvertretern da vorn. Sie wollen sie auf ihre Seite der Realität holen.“
Es wird klar, dass diese Leute systematisch jedes Gegenargument übersehen müssen, weil sie eben nicht vom Argument zur Meinung, sondern von der Meinung zum Ressentiment kommen. Von der Argumentsebene haben sie sich aus weltanschaulichen Gründen längst verabschiedet. Damit wird klar: Mit diesen Menschen kann man nicht diskutieren. Nicht aus Prinzip, sondern weil es nichts bringt. Im Gegenteil, indem man die eben beschriebene Struktur der Projektion als 'Sorge' oder 'Ängste' verharmlost und damit als irgend geartete Grundlage für eine Diskussion anerkennt, legitimiert man sie als Diskurs. Um die Projektion aber nicht zu verharmlosen, muss man darüber reden, was und warum projiziert wird. Und hier bewahrheitet sich, dass wer vom Kapitalismus nicht reden will, vom Faschismus bitte schweigen solle.
Als rein politisches Mittel bleibt also nur der unermüdliche Gegenprotest und die Delegitimierung, Statistiken und Argumente helfen allenfalls dabei die Ausbreitung der Bewegung zu verlangsamen, aber nur so lange, bis sich das Ressentiment seine nächste Projektionsfläche sucht, die dann wieder mühsam argumentativ entkräftet werden muss. Bei diesem Wettlauf kann die Vernunft dem stumpfen Hass nur unterliegen.
Verdeutlichung dieser theoretischen Aspekte hier einige kleine Interviews von Panorama mit PEGIDA-Menschen. Genau hinhören:
Es wird klar, dass diese Leute systematisch jedes Gegenargument übersehen müssen, weil sie eben nicht vom Argument zur Meinung, sondern von der Meinung zum Ressentiment kommen. Von der Argumentsebene haben sie sich aus weltanschaulichen Gründen längst verabschiedet. Damit wird klar: Mit diesen Menschen kann man nicht diskutieren. Nicht aus Prinzip, sondern weil es nichts bringt. Im Gegenteil, indem man die eben beschriebene Struktur der Projektion als 'Sorge' oder 'Ängste' verharmlost und damit als irgend geartete Grundlage für eine Diskussion anerkennt, legitimiert man sie als Diskurs. Um die Projektion aber nicht zu verharmlosen, muss man darüber reden, was und warum projiziert wird. Und hier bewahrheitet sich, dass wer vom Kapitalismus nicht reden will, vom Faschismus bitte schweigen solle.
Als rein politisches Mittel bleibt also nur der unermüdliche Gegenprotest und die Delegitimierung, Statistiken und Argumente helfen allenfalls dabei die Ausbreitung der Bewegung zu verlangsamen, aber nur so lange, bis sich das Ressentiment seine nächste Projektionsfläche sucht, die dann wieder mühsam argumentativ entkräftet werden muss. Bei diesem Wettlauf kann die Vernunft dem stumpfen Hass nur unterliegen.
Verdeutlichung dieser theoretischen Aspekte hier einige kleine Interviews von Panorama mit PEGIDA-Menschen. Genau hinhören:
Weitere Links:
Und, es war abzusehen, Verschwörungsantisemitismus bei der PEGIDA
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