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Max Mustermann zündet ein Flüchtlingsheim an - Diskutieren mit Pegida Teil 2

von Auslandskorrespondent Karl


Vieles will PEGIDA sein, aber Nazis auf keinen Fall. „Sehen Sie hier Nazis?“, schleudert der PEGIDA-Demonstrant dem Panorama-Reporter triumphierend entgegen, als wäre das schon am Aussehen offensichtlich. Und tatsächlich, wer der herkömmlichen Idee von Nazis mit Glatzen auf der einen und gutem demokratischen Bürgertum, Zivilgesellschaft, auf der anderen Seite anhängt, muss zu dem Schluss kommen, dass es sich bei PEGIDA um ganz normale Demokraten handelt.

Warum fühlen sich große Teile der oft beschworenen demokratischen Mitte also plötzlich berufen, bei den PEGIDA-Rassisten mit zu spazieren oder zumindest Sympathie zu bekunden? Das ist gar nicht so überraschend, man könnte von der Existenz dieser Menschen wissen, hätte man mal in die Heitmeyer-Studie „Deutsche Zustände“ geschaut. Hat aber offenbar niemand. Kann auch niemand gemacht haben, denn in Deutschland und besonders in Sachsen herrscht im öffentlichen Diskurs zum Rechtsextremismus immer noch eine längst entkräftete Theorie vor; die Extremismustheorie. Die geht davon aus, dass es eine demokratische Mitte der Gesellschaft gibt und alles, was sich zu weit links oder rechts davon bewegt, sei „extremistisch“. Anlässlich von PEGIDA hat Publikative.org diese Theorie so wunderbar in ihre Einzelteile zerlegt, dass ich allen Leser*innen den kurzen Artikel sehr ans Herz legen möchte:


Kurz zusammengefasst: Die Theorie leugnet alle Ungleichwertigkeitsideologien in der von ihr definierten Mitte der Gesellschaft, diese seien nur am dann definierten „Rand“ des politischen Spektrums zu finden. In dieser Logik werden desintegrierte und von der Leistungsgesellschaft abgehängte Individuen, also solche, die aus der Mitte der Gesellschaft herausfallen, dann häufiger zu Islamisten, Neonazis oder Linksextremen, was für die Extremismustheorie aber in dem Sinne das Gleiche ist. Das ist aber schon empirisch völliger Quatsch, rechtsextreme Einstellungen fanden sich unter arbeitslosen Jugendlichen sogar oft seltener, als in anderen Gruppen gleichen Alters. Von Fakten ist diese Theorie aber nicht getrübt, sie entlarvt sich selbst als Projektion. Die demokratisch-kapitalistische Gesellschaft ist gut, sie ist schließlich auch normativer Bezugspunkt dieser Theorie, dass es trotzdem so etwas wie Rechtsextremismus gibt, liegt eben an den charakterlichen Defiziten der Extremisten.

Mit diesem falschen Verständnis von Phänomenen wie Antisemitismus und Rassismus ist aber PEGIDA überhaupt nicht zu erklären. Denn da marschiert größtenteils genau die Gruppe, für die Kapitalismus und Demokratie ihrem eigenen Glücksversprechen zu Folge eigentlich am besten funktionieren sollte; das Kleinbürgertum. Die Demokratie wird im wahrsten Sinne des Wortes von ihren eigenen Kindern, oder besser Eltern, gefressen. Das dürfte es nach der Logik der Projektion „Extremismustheorie“ gar nicht geben, weswegen Extremismustheoretiker*innen zum Rassismus von PEGIDA auch lieber gar nichts sagen. Sie müssen diese Realität übersehen.

Nur weil diese Theorie eine so hegemoniale Bedeutung hat, wird das oft gehörte PEGIDA-Argument, 15.000 Leute könnten doch nicht alle rechts sein, überhaupt ernst genommen. Können sie nicht?

Die Extremismustheorie ist nicht nur zentrale Projektion der bürgerlichen Gesellschaft, sie ist auch im öffentlichen Diskurs noch immer omnipräsent. Jahrelang mussten sich Linke bei Demos gegen Nazis anhören, man sei ja selbst nicht besser, wenn man was gegen die bürgerliche Gesellschaft sagt. Jetzt, wo sich breite Teile dieser bürgerlichen Gesellschaft zusehends selbst entlarven, lohnt sich also auch ein Blick auf den bürgerlichen Teil der Gegenproteste, damit meine ich alle, die gegen PEGIDA sind, aber in ihrem Selbstverständnis nicht linksradikal sind und Kategorien wie Staat, Nation und Kapital nicht grundlegend ablehnen oder zumindest hinterfragen.

Denn auch diese gibt es. Zwar längst nicht mehr so zahlreich wie ihre rassistischen Gegenstücke, aber doch noch da. Bei dem kaum verhohlenen Rassismus von PEGIDA schrecken immer noch viele zurück, bei den inhaltlich gleichen aber ästhetisch anders auftretenden HoGeSa-Hooligans sogar noch mehr, aber dieses Zurückschrecken bleibt oberflächlich.

Ich behaupte: Die so genannte Zivilgesellschaft hat schon in den 90ern nicht verstanden, was außer Glatzen und Springerstiefeln das inhaltliche Problem an Naziideologie ist, außer dass „Deutschland erwache“ irgendwas mit Auschwitz zu tun hat und da will man nicht dazu gehören. Die NPD hat völlig recht mit ihrer Selbstanalyse, dass sie, wenn rational nach Inhalten gewählt werden würde, deutlich besser da stünde. Die Ablehnung der Nazibewegungen der letzten Jahrzehnte durch das Bürgertum war immer schon mehr ästhetischer Affekt als Einsicht (siehe NPD-Tarnlisten mit großem Erfolg).

Jetzt, wo PEGIDA, Friedenswinter und Asylgegner*innen inhaltlich exakt das Gleiche in neuen Phrasen packen (siehe: „Deutschland wach auf“ statt „Deutschland erwache“), steht, wer noch nicht selber dabei ist, ratlos davor und kann den Mitgliedern der Bewegung nicht so richtig erklären, was an deren Forderungen jetzt Rassismus sein soll. PEGIDA ist gegen „Wirtschaftsflüchtlinge“, na da sind dann doch auch viele von der Gegenseite dagegen. Und politisches Asyl findet PEGIDA ja laut eigenem Programm super. Da sind sich dann plötzlich erschreckend viele Leute wieder einig. Der oft beschworene Dialog scheint nicht nur nicht zu wirken, er geht oft auch völlig nach hinten los. Und das wird auch so bleiben, so lange die Menschen innerhalb einer bürgerlichen Nationalstaatslogik argumentieren, also Menschen überhaupt als Flüchtlinge und nicht zuerst als Menschen ansehen müssen.

Denn innerhalb einer Logik von Nationalstaaten und Konkurrenz ist der Großteil von dem, was Nazis und PEGIDA sagen, auf eine grausame Art schlüssig. Sie kritisieren den Nationalstaat nur dort, wo er ihrer Meinung nach seiner eigentlichen Funktion, nämlich Instrument der Nation zu sein, noch nicht brutal genug nachkommt. Das ist ein qualitativer Unterschied zwischen Linksradikalismus und Rechtsradikalismus (von radix (f.) – Wurzel): Wo Rechtsradikale den Kern dieser Gesellschaft konsequent zu Ende denken, kritisieren Linksradikale genau diesen Kern, statt nur die Auswirkungen und Erscheinungsformen. Daher ist der Übergang von Konservativen zu Rechtsradikalen auch inhaltlich oft fließender als von SPD zu „ums Ganze“. Aber erzählt das bloß nicht den Extremismustheoretiker*innen, das könnte ihre schöne kleine Welt kaputt machen.

Weil das vielleicht ein wenig abstrakt war und moralisierend klang, hier ein Beispiel, warum das in der Diskussionspraxis ein wichtiger Unterschied ist. Von bürgerlichen PEGIDA-Gegner*innen wird beispielsweise das Argument vorgebracht, Ausländer seien wertvolle Fachkräfte und durchschnittlich sogar produktiver als Deutsche. Das stimmt statistisch gesehen auf den ersten Blick. Man hat aber damit schon der Logik stattgegeben, Menschen als Produktivkraft zu sehen. Und genau jene, die aus dem Rahmen der Leistungsgesellschaft herausfallen und in ein anderes Land ziehen, müssen nach dieser Logik zum Problem werden. Für die Einen ein großes Problem, für die Anderen ein lösbares, geringes Problem, aber so oder so ein Problem.

Das wäre an sich nicht so schlimm, würde es diese „oberflächlichen“ PEGIDA-Gegner*innen nicht früher oder später vor ein argumentatives Problem stellen: Wenn Fremdenhasser sagen, dass als Ausländer markierte Menschen weniger produktiv sind, haben sie nämlich innerhalb dieser Logik leider auf den zweiten Blick vollkommen Recht. Wer die Sprache der Arbeitgeber*innen nicht spricht und die Gesetze nicht kennt, ist selbstverständlich nicht so produktiv wie der gute deutsche Normalbürger. Dass das in Deutschland statistisch nicht ins Gewicht fällt, liegt schlicht und einfach daran, dass an den EU-Außengrenzen knallhart gesiebt und gemordet wird; wer für die Verwertung also unbrauchbar ist, kommt gar nicht erst nach Deutschland bzw. wird tendenziell gleich wieder abgeschoben. Am Ende bleiben die produktiven Ausländer, voll das emanzipatorische Argument. Nicht.

Da könnte dann unser Fremdenhasser anknüpfen und sagen, dass das mit den produktiven Ausländern bitte auch so bleiben soll, dass also dieses Siebverfahren möglichst effektiv gestaltet werden muss. Dann könnten bürgerliche PEGIDA-Gegner relativ wenig entgegenhalten, wenn sie schon einmal diese Argumentation gewählt haben. Und plötzlich hat man einen bequemen, wenn auch menschenfeindlichen Kompromiss, wie es die bürgerliche Gesellschaft gern hat. Im Verweis auf die statistisch höhere Produktivkraft von Immigrant*innen hat man also nicht nur moralisch-theoretisch, sondern auch ganz praktisch eine sinnvolle Ebene der Kritik längst verlassen.

Nicht, dass man mit PEGIDA überhaupt argumentativ diskutieren könnte. Um nämlich vernünftige, also halbwegs menschenwürdige Argumente austauschen zu können, müsste man die Logik der Nationalstaatlichkeit insgesamt hinterfragen. Dazu sind aber weder PEGIDA, noch ein Großteil der bürgerlichen Gegendemonstranten*innen bereit, Vertreter*innen des Staates natürlich gleich gar nicht. Der Staat kann gar nicht vernünftig gegen Patrioten argumentieren, weil es seinem eigenen Charakter zuwider läuft. Daher ist es kein Wunder, dass bei den Diskussionen und Gesprächsrunden, sei es mit PEGIDA-Anhänger*innen oder der Bürgerberatungsstunde zum neuen Asylbewerberheim im besten Fall alle aneinander vorbei reden und im schlechtesten Fall menschenfeindlicher Unsinn herauskommt. Aber an diesem Beispiel zeigt sich etwas Wichtiges für die Zivilgesellschaft: Schon in dem impliziten Zugeständnis produktive Ausländer lieber zu haben als unproduktive, zeigt sich nämlich die völlige Entmenschlichung und die grausame Logik von Nationalstaat, Konkurrenz und Verwertung. Oder um es mit dem Transparent einer australischen Refugee-Bewegung zu sagen: „Treating refugees as the problem is the problem!“

Jeder Mensch aus dem Bürgertum, der auf eine No-PEGIDA-Demo geht, ist mir lieber als solche, die genau das nicht tun. Wer wenigstens die Erscheinungsformen von Rassismus aktiv blöd findet, ist mir lieber, als jene, denen das egal ist. Aber ob langfristig auf eine Zivilgesellschaft Verlass ist, die Kapital, Staat und Nation als natürliche Gegebenheit und damit als Kategorie ihres Denkens ansieht, halte ich zumindest für diskussionswürdig. Es ist also lohnenswert, nicht bei der bloßen Abwehrhaltung gegen PEGIDA, so überhaupt gegeben, stehen zu bleiben, sondern sich grundsätzlicher mit diesen Themen zu befassen.

Langfristig müssen meiner Meinung nach die Kategorien hinterfragt werden, die diese Projektionen wie Rassismus und Antisemitismus hervorrufen: Sowohl die politischen, als auch die ökonomischen, als wäre das nicht ohnehin untrennbar verbunden. Die Erkenntnis könnte dann lauten: Deutschland hat kein Rassismusproblem, Deutschland ist das Rassismusproblem.

Es ist eine simple Überlegung: Wenn du dich 8 Stunden am Tag in einem Job, den du hasst, selbst verwertest, dich für ein Kollektiv aufopferst und Steuern an einen Staat zahlst, damit der für dich an der Grenze tausende Menschen tötet, ist es eigentlich egal, ob du danach von deinem jämmerlichen Lohn auf den Weihnachtsmarkt oder auf den Wintermarkt oder auf den Mekkamarkt gehst. Aber genau diese Einsicht erfordert womöglich etwas Vernunft und damit schließt sich der Kreis. Es ist nicht so, dass Menschen von Natur aus Patrioten sind und dann für diese Einsicht zu dämlich wären. Es ist umgekehrt: wer für diese Einsicht zu dämlich ist, muss ein Patriot werden.

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