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Verkürzte Kapitalismuskritk - Rede gegen die Montagsdemo in Halle

von Lukas Wanke

Mein Vorredner hat ja bereits die problematischen Inhalte der Montagsdemos und der Hauptakteure geschildert, allerdings bleibt die Frage offen warum diese anti-demokratischen und menschenverachtenden Einstellungen überhaupt geäußert werden. Worauf bauen diese Ideologien auf? Meine These ist, dass es sich dabei um eine logische Folge verkürzter Kapitalismuskritik handelt.
Dies ist die Grundlage der Montagsdemos und der daraus erst resultierenden Probleme, wie beispielsweise das Hetzen eines Jürgen Elsässers gegen die schädliche „Finanzoligarchie“ von der US-Ostküste oder Ken Jebsens pathologischer Israel-Hass. In Halle haben wir auch in das Schema passende Faschismus-Definitionen nach dem Motto „Faschismus ist es wenn eine kleine Gruppe böse Dinge macht“ gehört und hier wurden auch Thesen über die die vermeintlich die Finanzoligarchie repräsentierenden Rothschilds oder die „wahren Führungen“ von EU, USA, Nato oder Federal Reserve geäußert.
Die Demonstrierenden gehen hier also von den real existierenden Missständen des Kapitalismus aus, wie Ausbeutung, Ungerechtigkeit, Konflikten zwischen Interessen von Nationalstaaten und daraus resultierend Krisen und letztendlich Kriegen aus und haben offensichtlich sogar die Bereitschaft jeden Montag auf dem Marktplatz von Halle herumzugammeln und ihren Unmut über die schlechte Situation kundzutun. Das wäre zu begrüßen, leider geht das über Unmutsbekundungen und Hass nicht hinaus und ist keine tatsächliche Kritik, die irgendwie das Potential hätte etwas zum Positiven zu verändern.
Das ist schade, denn die Leute verschwenden ihre Zeit, denn diese verkürzte Kapitalismuskritik nimmt Probleme auf, echauffiert sich darüber, kritisiert aber letztendlich keine realen Ursachen, sondern erschafft sich Hirngespinste, an denen sich die Montagsdemo-Menschen abarbeiten. Dies sehen wir grade bei den Berliner Montagsdemos, die das typische Schema verkürzter Kritik aufweisen: Eine kleine Gruppe von Privatbankern steuere im Geheimen die FED, sauge den Planeten aus und sei schuld an allen Krisen und Kriegen der „letzten hundert Jahre“ wie Lars Mährholz es formulierte. Dabei spielt es für die Struktur dieser Argumentation auch gar keine Rolle, ob man jetzt die „wahren Besitzer“ der FED nimmt oder die kleine Gruppe von Bösewichten „Illuminaten“ oder „Bilderberger“ nennt. Die Imagination dieser Gruppe ist keine Systemkritik, sondern absurde Personalisierung von systemischen Problemen und dies, ohne dass die Montagsdemos jemals einen Beweis für die Existenz dieser Gruppe vorgelegt hätte, was aber kein Problem ist, da in der Logik der verkürzten Kapitalismuskritik, die nicht-Existenz von Beweisen einfach nur als weiterer Beweis für eine große Verschwörung dient. Der Montagsdemo-Redner Andreas Popp hat dies zum Grundprinzip seiner „Theorie“ gemacht: Cui bono? Wem nutzt es, wenn die kleine Gruppe geheim ist und es keine Beweise gibt? Na der kleinen Gruppe, die ihre Macht erhalten möchte.
Vernünftige Menschen wissen allerdings: Die FED ist ein staatlich-privates Konglomerat, der US-Senat setzt Direktor_innen ein, sie wird politisch kontrolliert und die Gewinne fließen zu über 90% zurück in den US-amerikanischen Staatshaushalt. Wäre die FED so schrecklich reich, hätten die Vereinigten Staaten kein Haushaltsproblem. Wenn man allerdings schon einmal davon ausgeht, dass es eine riesige FED-Verschwörung gibt, dann ist es auch nicht mehr so weit entfernt zu behaupten, dass die Weltverschwörung uns auch mit Chemtrails vergiftet und die US-Army mit der Radarstation Haarp eine Erdbebenwaffe betreibt und bspw. an dem Tsunami 2011 in Japan schuld ist, wie hallesche Demonstrierende schon suggerierten. 
Noch perfider wird es freilich wenn sich die verkürzte Kapitalismuskritik als richtige Systemkritik tarnt. Das finden wir grade bei der überholten Zins- bzw. „Geldsystemkritik“, bei der man in klassischer Manier davon ausgeht, dass der Mechanismus des Zinseszins und des daraus resultierenden exponentiellen Wachstums die ganze Welt ökonomisch versklavt und alle Probleme verursacht. Natürlich ist das Unsinn, da die Kapitalakkumulation im Kapitalismus nicht im Finanzsektor stattfindet, sondern in der Warenproduktion und fiktives Kapital immer nur systemimmanente Ergänzung ist. Allerdings wirft diese verkürzte ökonomische Analyse für die Montagsdemonstrant_innen die Frage auf, warum denn niemand ihre einfachen ökonomischen Wahrheiten verstehen möchten, bzw. warum dieser verbrecherische Zinseszins nicht einfach abgeschafft wird. Hier landen wir unweigerlich wieder bei der zwangsläufigen Personalisierung: Die kleine Gruppe, bestehend aus FED-Besitzer_innen, Rothschilds oder was auch immer, verhindert durch gezielte Manipulation, dass wir unaufgeklärten „Schafe“, die Wahrheit erfahren, weshalb hier in Halle auch explizit eine „ehrliche Presse“ gefordert wird, also eine Presse, die das berichtet was die Irren vom Marktplatz hören wollen.
Das Problem dabei ist: Wir leben der kapitalistischen Moderne, was bedeutet, dass die Menschen keine Sklaven oder Leibeigene mehr sind, also nicht mehr persönlich beherrscht werden. Die Spielräume für Personen sind klein, es gibt systemisch fest abgesteckte Rahmen und die Konstitution unseres Gesellschaftssystems hängt schlicht und ergreifend einfach nicht mehr von der Laune eines bösen Bankers oder der ganzen FED ab. Niemand entscheidet sich heutzutage nach dem Motto „Oh es wäre mal wieder Zeit für eine kleine Finanzkrise“ oder „Hey es wäre ja toll wenn Nationalstaaten oder Staatenbünde wie die EU und Russland in Konkurrenz zueinander treten würden“. Die Kritik müsste hier also systemisch ansetzen, allerdings liefern die Montagsdemos Antworten, die ins Mittelalter gehören, als man eine schlechte Situation tatsächlich an den direkten Herrschenden wie zB Lehnsherren festmachen konnte.
Wir kritisieren die Montagsdemo-Menschen für ihre verkürzte Kritik allerdings nicht aus reiner Freude am kritischen Diskurs, wir stehen hier als Gegendemo, weil wir diese Ideologie der verkürzten Kapitalismuskritik für brandgefährlich halten. „Die da oben“, respektive die kleine Gruppe der FED-Chefs, die Rothschilds, US-amerikanische Unternehmen oder einfach die offensichtlich sehr variable „Gruppe X“ werden als homogene Gruppe imaginiert, deren Vernichtung bzw. vorsichtiger formuliert: deren Nicht-Existenz die Probleme der Welt lösen würde. Dementsprechend muss die „Gruppe X“ verschwinden und dazu bekämpft werden, damit es uns allen gut geht. Hier lässt sich die eliminatorische Essenz der Montagsdemos sehr gut feststellen und da diese „Gruppe X“ absolut variabel ist und nur die Grundüberlegung dieser Menschen als Sündenböcke feststeht, liegt hier struktureller Antisemitismus vor.
Die historische Erfahrung zeigt, dass aus diesem strukturellen Antisemitismus sehr schnell offener wird, da die Imagination der kleinen, gierigen, parasitären und exklusiven Gruppe nun einmal mit klassisch antisemitischen Stereotypen zusammenfällt. Und deshalb kann es uns nicht wundern, dass die Redner der Montagsdemos breite Passagen ihres politischen Programmes aus dem 25-Punkte-Programm der NSDAP von 1920 abgeschrieben haben. 
Die NSDAP forderte zum Beispiel: „Abschaffung des Arbeits- und mühelosen Einkommens, Brechung der Zinsknechtschaft.“, behauptete einen qualitativen Unterschied zwischen „schaffenden und raffenden“ Kapital d.h. einerseits gäbe es den hart arbeitenden deutsche Mittelstand („Schaffung eines gesunden Mittelstandes“) mit gutem Kapital und andererseits eine korrupte Elite, die sich unmoralisch bereichert und zur Absicherung des System, mit ihrem „jüdischen-materialistischen“ Geist die Völker manipuliert bzw. „zersetzt“. Die Montagsdemos in Halle und in Berlin behaupten nahezu deckungsgleich, dass die FED mit ihrem „Geldsystem“ Grund der Versklavung der Menschheit sei, gedeckt durch den Einfluss der Elite aus den USA oder passenderweise durch die „zionistische Verschwörung“. Wenn alle das Gute wollen würden, also „Gemeinnutz vor Eigennutz“ (aus dem NSDAP-Programm) ginge, dann gäbe es keine Probleme, die gegenwärtig nur von der Bosheit dieser kleinen Elite ausgelöst würden. 
Eine weitere logische Parallele zwischen NSDAP und Montagsdemo ist dann auch das Statement: „Wir fordern den gesetzlichen Kampf gegen die bewussten Lügen der Presse.“ (NSDAP) oder eben „Für ehrliche Medien“ ohne den Einfluss der bösen Elite (Montagsdemo in Halle). Durchgesetzt wurde diese Forderung im NS-Staat bekanntlich mit der vollen staatlichen Kontrolle der Medien und durch die Entfernung „fremd-völkischer“ oder „entarteter“ Elemente von den Schalthebeln der Medienhäuser. Die Montagsdemonstrant_innen sind glücklicherweise noch ein gutes Stück von der Macht entfernt.
Besonders bedenklich ist, dass die Verbindung zur NSDAP nicht nur durch Überschneidungen im politischen Programm deutlich wird, sondern von einem Hauptredner der Montagsdemo in Berlin sogar aktiv betrieben und betont wird. Andreas Popp bezieht sich offen und affirmativ auf den NSDAP –Wirtschafts“theoretiker“ Gottfried Feder, der die Fragen nach Kapital, Zinsen und Schulden von vornherein antisemitisch konnotiert hat. Dieser Andreas Popp hat seine völlig unwissenschaftlichen Erkenntnisse eigentlich 1 zu 1 übernommen, wobei er „Juden“ durch „Danistakraten“ („Wucherer“) ersetzt hat, womit er seiner Vorstellung von der bösen Elite sogar noch ein eigenes Wort spendiert hat. Popp geht auch ansonsten mit dem völkischen Programm der NSDAP mit, so ist er gegen große Staaten, weil sie eine Zersetzung darstellen würden und spricht sich eher dafür aus wieder zu alten germanischen Stämmen zurückzukehren. Was das für Leute bedeutet, die keine Lust auf Popps „Stammesgemeinschaft“ haben, kann sich jeder Mensch selbst ausmalen.
In Halle haben wir –wie gezeigt- ähnliche Behauptungen, von daher lässt sich zwischen den offen antisemitischen Vordenkern in Berlin und den Menschen hier auf den Marktplatz eine klare Verbindung ziehen, die prinzipiell aus der geteilten verkürzten Kapitalismuskritik resultiert und zu solch katastrophalen Schlussfolgerungen führt.

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