Folgenden Redebeitrag habe ich zur Einbringung des gleichnamigen Antrages der Linksjugend Sachsen-Anhalt auf dem Landesparteitag gehalten. Mehr oder weniger wie er hier steht.
Liebe Genoss*innen,
Der Antrag der Linksjugend ist zu umfangreich, als dass ich euch jetzt jeden einzelnen Aspekt referieren und begründen könnte. Aber was ich in der Zeit, die ich habe, versuchen werde, ist euch zu begründen, warum dieser Antrag uns so wichtig ist und warum wir glauben, dass er heute beschlossen werden sollte. Der Grund steht in der Überschrift: Es braucht linke Einwanderungspolitik!
Es braucht linke Einwanderungspolitik, weil dem Konsens, der die Debatte über Flucht und Migration aktuell dominiert, etwas entgegengesetzt werden muss.
In dieser Debatte wird über Geflüchtete und Einwanderer geredet, wie über Nutzvieh, das eben seine Verwertbarkeit als Humankapital unter Beweis stellen muss, um hier auch nur existieren zu dürfen. Wie über Schafe, von denen so und so viele auf die Weide gelassen werden und den Rest überlässt diese Gesellschaft dem Schlachter, bspw. dem islamischen Staat. Das nennt sich dann Obergrenze oder die "Begrenzung des Zuzugs von Geflüchteten". Oder diese Gesellschaft redet über sie wie über Zirkustiere, die Tricks zu lernen haben, die wir "Leitkultur" nennen. Pfötchen geben, wie es der Bundesinnenminister mit der CDU/CSU fordert, als würde das irgendein Problem lösen.
Und die meisten Parteien, die auf Bundesebene relevant sein werden, CDU, CSU, SPD, GRÜNE, der FDP möcht ich jetzt keine Hoffnungen machen, die meisten Parteien machen fröhlich mit bei dem, was die AFD fordert, entweder in eigener Rede oder aber in eigener Politik.
Wenn jetzt die SPD mit der etwas netter formulierten NPD-Parole „Kriminelle Ausländer raus!“ in den Wahlkampf zieht, zeugt das davon, dass sich eine rechte Erzählung in weiten Teilen der bürgerlichen Politik durchgesetzt hat, die Erzählung von der Ungleichwertigkeit der Menschen aufgrund ihrer Herkunft. Und dieser Erzählung hat von den genannten Parteien nicht eine einzige etwas entgegenzusetzen. Und weil das so ist, liebe Genoss*innen, müssen wir dem etwas entgegensetzen und dafür braucht es linke Einwanderungspolitik.
Da dürfen wir mit unseren eigenen Positionen nicht zaghaft sein: Natürlich sind wir Humanisten. Natürlich sind für uns alle Menschen gleich viel Wert und natürlich haben alle die gleichen Rechte verdient - das hört an der Staatsgrenze nicht plötzlich auf.
Wir müssen die Erzählungen der anderen Seite angreifen und ihnen linke Erklärungen entgegensetzen, in denen Geflüchtete und Zuwanderer als mündige Menschen vorkommen, die natürlich das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben haben. Und für die Probleme dieser Menschen haben wir auch Lösungen.
Natürlich haben wir die, denn die Leute, die da kommen, sind keine Wesen von einem fremden Stern, die aber ganz neue, ungekannte Probleme mitbringen, über die wir ganz neu nachdenken müssen, sondern sie sind … halt so Leute. Und für Leute haben wir eine Menge Lösungen, für Leute haben wir all das, was wir unter dem Stichwort soziale Gerechtigkeit zusammenfassen, was allen hilft, egal, ob sie hier geboren sind oder nicht. Für diese Leute hat die politische Rechte nicht eine Lösung. Sie bietet nur an, dass es anderen Menschen vielleicht noch schlechter gehen könnte. Unsere Antworten dagegen funktionieren für alle:
Das deutlichste Beispiel dafür, dass die fremden neuen Probleme gar nicht so fremd und neu sind und dass ihre Lösung für alle Vorteile hat, ist Sprache. Man sollte ja meinen, es sei ein spezifisches Problem von Einwanderung, dass man nicht nicht die gleiche Sprache spricht, nicht ohne Übersetzungsleistung miteinander reden kann. Aber ich halte das für ein Gerücht. Da muss ich nicht einmal damit anfangen, dass Ostfriesen ganz anders reden als Sachsen oder Bayern. Wenn wir uns allein hier im Saal alle miteinander angucken, reden doch schon die jüngeren Genoss*innen durchaus anders als die älteren Genoss*innen. Und schon das führt gelegentlich zu Missverständnissen, weil Worte andere Bedeutungen, andere Konnotationen, andere Nuancen haben. Noch viel deutlicher sind die Unterschiede zwischen den eisern abgetrennten sozialen Milieus in Deutschland. Da macht es keinen Unterschied, ob sich die Menschen aufgrund ihrer sozialen oder ihrer geographischen Herkunft nicht mehr verstehen. Das Problem damit ist aber nicht, dass man einander nicht in der Straßenbahn belauschen kann, sondern dass in Gerichten, in Behörden, im politischen Diskurs über diese Menschen entschieden wird, ohne dass sie mitreden können.
Auch wenn Sprachkurse eine notwendige Grundlage sind: Miteinander reden lernt man im Alltag, wenn man einander denn im Alltag begegnet. Wenn wir gegen die gesellschaftliche Spaltung vorgehen wollen, die das verhindert, dann würden wir uns übrigens auch ganz konkret mit den Reichen anlegen, in deren Viertel wir dann sozialen Wohnungsbau betreiben müssten und die sich gegen den Zuzug der „Schmuddelkinder“ mit Anwalt und Gutachter zur Wehr setzen werden. Aber es gibt kein Recht auf „Unter sich bleiben“, wenn anderen damit der Zugang zu guter Bildung, zu politischen Entscheidungen und zum schönen, selbstbestimmten Leben vorenthalten wird.
Natürlich gibt es auch die Konkurrenz am Arbeitsmarkt. Aber die beenden wir ja nicht dadurch, dass wir Leute vom Arbeitsmarkt ausschließen, damit entscheiden wir nur, wer den Trostpreis eines schlecht bezahlten Jobs gewinnt auf der einen Seite – und auf der anderen Seite wer nicht einmal das bekommen darf. Wir sind ja auch nicht dafür, dass Frauen am Herd bleiben, weil das weniger Konkurrenz für die Männer bedeutet - übrigens ganz im Gegensatz zur politischen Rechten.
Es braucht gerade linke Einwanderungspolitik, weil es gegen Konkurrenz ein Mittel gibt: Solidarität. Und gegen internationale Konkurrenz, gibt es auch ein Mittel: Internationale Solidarität. Und im besten Fall antinationale Solidarität, weil die Grenzen der Nationalstaaten verhindern, dass sich die Proletarier aller Länder vereinigen können. Aus Lohnkonkurrenten müssen Genoss*innen werden, auch über die Ländergrenzen hinweg. Sonst verlieren alle. Und das gilt eben auch, wenn Menschen in ihren Heimatländern bleiben, zu unwürdigen Bedingungen arbeiten, im vom Kapitalismus verursachten Elend leben und sterben müssen, wo sie nichts gegen die Verhältnisse ausrichten können oder das zumindest sehr viel schwerer ist. Auch dafür braucht es linke Einwanderungspolitik. Das ist übrigens keine neue Erkenntnis. Das wissen wir alles als politische Linke, als Bewegung, zum Teil schon seit hundert Jahren.
Das ist der erste Teil des Antrages der Linksjugend. Uns an die Antworten die wir doch haben und die wir kennen, zu erinnern. Wenn wir vom Standpunkt der Solidarität argumentieren, dann haben wir schon deutlich weniger Schwierigkeiten in dieser Debatte. Dann dürfen wir aber auch nicht so zaghaft, sondern müssen konsequent sein.
Der zweite und drtitte Teil des Antrages führt die Grundannahme, die uns von der politischen Rechten unterscheidet, konsequent zu Ende. Die Grundannahme der Gleichheit der Menschen an Rechten und Freiheit.
Ich ... habe mir mit nichts auf der Welt verdient, in einem Land leben zu dürfen, das Sozialsysteme hat, in dem es gerade keinen Krieg gibt und das vergleichsweise reich ist, auch wenn dieser Reichtum sehr ungerecht verteilt ist. Immerhin kann ich mich in einer Partei engagieren, die das ändern will. Wenn ich trotzdem hier sein darf, dann hat jeder Mensch auf der Welt das gleiche Anrecht darauf. Das kann man ganz unaufgeregt so feststellen und wenn man es morgen durchsetzte, die Welt ginge nicht unter, aber die Situation von Migrant*innen, von Geflüchteten würde sich verbessern. Auch darum braucht es linke Einwanderungspolitik.
Statt uns mit den Horrorszenarien zu beschäftigen, die von der politischen Rechten ins Feld geführt werden, um uns Angst vor unseren eigenen Idealen zu machen, sollten wir uns vielleicht mal die Realität anschauen:
Es wird nicht plötzlich die ganze Welt aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland aufbrechen. Viele gute Gründe halten die Menschen in ihrer Heimat: Arbeit, Familie, Freunde, Kultur, Sprache, Kindheitserinnerungen, sie kennen die Regeln, die Umgangsformen, den Alltag. Wir können das ja schon in Europa beobachten. Hier haben wir offene Grenzen. Sind alle Spanier nach Deutschland gekommen? Aber selbst wenn sie kämen: Wüssten wir mit den Spaniern nichts anzufangen? Müssten wir Angst vor den Spaniern haben? Wir können das auch innerhalb Deutschlands beobachten: In Bayern fließen doch angeblich Milch und Honig, angeblich ist es doch die Vorstufe zum Paradies, um mal die CSU zu zitieren. Warum ziehen wir nicht alle da hin?
Gehen wir mal alle in uns und beantworten uns diese Frage. Also mein Problem ist, dass ich die Landessprache nicht verstehe.
und die Antworten, die sich hier jetzt alle einzeln geben, sind vermutlich die gleichen Antworten, die sich die Menschen auf der ganzen Welt geben, wenn man sie fragt, warum sie nicht nach Deutschland gehen – auch weil das gerne mal mit Bayern gleichgesetzt wird. Das sind eben auch nur ganz normale Leute. Andererseits würden wir doch auch niemanden, der aus Sachsen-Anhalt nach Bayern zieht, vorwerfen, er müsse aber hierbleiben und das Land aufbauen. Wenn wir so täten, als ginge das so einfach, als könnte man einfach per Fingerschnippen ganz anders leben, wir hätten ja Kapitalismus nicht verstanden.
Aber wenn man der CSU so zuhört, müsste es ja eine große Mauer um den Freistaat geben, um die Überfremdung Bayerns durch Nord- und Ostdeutsche zu verhindern. Komischerweise gibt es so einen antipreußischen Schutzwall gar nicht und Bayern ist trotzdem genauso bayrisch wie es eben ist.
Aber: Bei aller richtigen Kritik an den anderen Parteien, hat sich auch DIE LINKE nicht mit Ruhm bekleckert. Sie hat auch Vertrauen verspielt, bei denjenigen, die von uns erwartet haben, die darauf vertraut haben, dass wir uns ganz entschieden und unmissverständlich gegen diesen Rechtsruck stellen, dass wir den Gegenentwurf präsentieren, von dem ich sprach. Bekommen haben die Leute stattdessen verwirktes Gastrecht und konsequentere Anwendung von Abschiebegesetzen. Von dieser Pressekonferenz mit Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch ist viel relativiert und nachträglich für nicht so gemeint erklärt worden. Was aber gefehlt hat, ist die Klarstellung: Was will DIE LINKE denn dann für eine Einwanderungspolitik? Was ist denn gemeint mit dem Satz "Wir wollen offene Grenzen für alle Menschen."? Mit diesem Antrag könnten wir, nicht nur unter Beweis stellen, dass wir natürlich Lösungen haben und dass das kein träumerischer Satz für eine ferne Zukunft ist, sondern auch, dass wir natürlich Haltung bewahren.
Aber ich will eigentlich nicht mit Wahlkampftaktik überzeugen, sondern weil das, was in diesem Antrag steht, inhaltlich richtig ist: Wenn es nicht genug Leute gäbe, die sich bereits jetzt für offene Grenzen aussprechen, man müsste sie davon überzeugen. In diesem Sinne, liebe Genoss*innen, freue ich mich auch schon darauf, mit klaren Positionen zum Thema Einwanderungspolitik in den Bundestagswahlkampf ziehen und Menschen davon überzeugen zu können.
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