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Wahnsinnig realistisch

Im Angesicht der Taten von Ansbach, München und Würzburg reagieren diejenigen, die sonst so gerne für sich in Anspruch nehmen, Realpolitik zu machen, mit dem Ruf nach mehr Überwachung, mehr Repression, mehr Sicherheit, mehr Bundeswehr im Inneren.
Realpolitik muss eigentlich bedeuten, die realen Verhältnisse zur Kenntnis zu nehmen und sie entsprechend zu verändern. Das verflacht regelmäßig zu einer Feuerwehrpolitik, die bloß auf aktuelle Ereignisse reagiert, ihre konkreten Umstände jedoch immerhin noch zur Kenntnis nimmt, diesen entsprechend Maßnahmen ergreift und wenigstens durch die unterschiedliche Natur dieser Ereignisse einen gewissen Ausgleich findet. Aber selbst dahinter bleiben die aktuellen Reaktionen zurück.

Abschiebung, Todesstrafe, Bundeswehr

So schwillt die Forderung danach, ausländische Straftäter schneller besser höher weiter abzuschieben. Hauptsache weg damit! Mal abgesehen von den grundsätzlichen Fragen, die sich der Feuerwehrpolitik als „ideologisch“ sowieso nicht stellen, also der Frage nach der Gleichheit vor dem Gesetz oder danach, warum normales Strafrecht für ausländische Täter denn nicht reichen solle, stellt sich selbst dem Feuerwehrpolitiker die schlichte Frage: Was hat das denn mit den vorliegenden Taten zu tun? Mal abgesehen davon, dass der Täter von München nicht hätte abgeschoben werden können, erwarteten wohl alle drei Täter ohnehin ihren Tod. Entweder aufgrund der Begehungsart oder weil bewaffnete Polizisten anzugreifen regelmäßig dieses Ergebnis zeitigt. Wie hätte eine Abschiebung als Reaktion auf die Tat, die den Tod der sie Begehenden beinhaltet, jene von jener abhalten sollen?
Auch die Forderung nach dem Einsatz der Bundeswehr ergibt schlicht keinen Sinn. In München waren in kürzester Zeit 2.300 Polizisten im Einsatz, darunter die GSG9, ihr Pendant aus Österreich sowie das SEK aus Bayern. Berichte über Langwaffen kamen angeblich auch dadurch zustande, dass Zivilpolizisten mit ebensolchen aber eben nicht als solche markiert, durch die Innenstadt jagten. An schwer Bewaffneten mangelte es also nicht. Zu diesem Zeitpunkt war die Tat aber schon vorbei. Wären nach der Tat auch noch Panzer durch München gerollt, was hätte das genützt, außer dass sich München in einem Kriegszustand gefühlt hätte, die Panik noch über das bereits hohe Maß zugenommen hätte? Gerade im Angesicht dessen, was in der Türkei passiert ist, müsste man selbst als Feuerwehrpolitiker wissen, warum Militäreinsätze im Inneren nicht einmal den Anschein der Rechtmäßigkeit haben dürfen.
Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht macht auch nicht davor Halt, die Todesstrafe über Umwege zu fordern, indem er verlangt, auch in Krisengebiete abschieben zu dürfen. Das Problem damit ist nicht nur die obige Erwägung zu Abschiebungen im Allgemeinen, sondern auch dass den Menschen, die hier Asyl erhalten, dort regelmäßig nachweislich Todesstrafe, Folter, Krieg, Verfolgung oder schlimmstes Elend drohen – weshalb sie ja aktuell nicht abgeschoben werden dürfen. Der deutsche Staat würde dem IS seine zukünftigen Opfer ebenso wie zukünftige Täter ausliefern. Fast könnte man meinen, dies sei im Sinne des Islamischen Staates und daher als Reaktion auf seinen Terror zu vermeiden.
Das wäre aber eine fast schon realpolitische Erwägung. Passt das zur Feuerwehrpolitik? Natürlich! Auch Feuerwehrleute fragen sich zuerst, was für ein Feuer sie da überhaupt bekämpfen, sie reagieren in Notsituationen besonnen. Womit wir es hier zu tun haben, bleibt also selbst hinter Feuerwehrpolitik zurück.

Von links nach rechts

Das ist im Übrigen keine identitär-linke Kritik an einer rechten Position, auch wenn die Position rechts ist, vertreten sie natürlich auch Leute, die sich als Linke identifizieren und als solche identifiziert werden. Bspw. Sahra Wagenknecht. Die Fraktionsvorsitzende forderte im Angesicht der Taten „der letzten Tage“ vor der entsprechenden Presseerklärung mehr Repression, mehr Überwachung. Auch sie spricht, obwohl auch die Tat von München eine Tat „der letzten Tage“ war, von Problemen mit der Integration von Geflüchteten, ignoriert also merkwürdigerweise gerade die Tat, die denjenigen, die nach mehr Sicherheit und mehr Repression rufen, nicht in den Forderungskatalog passen will.
Aber selbst, wenn man das ignoriert, mutet es merkwürdig an, dass sie statt der Integrationspolitik der Bundesregierung die Integration von Geflüchteten problematisiert. Statt einzufordern, dass die Bundesregierung ihr Versprechen „Wir schaffen das“ einlöst, statt über Maßnahmen zu sprechen, wie das zu machen sei, statt über Maßnahmen gegen soziale Segregation, über Sprachkurse, über psychosoziale Hilfe, über Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt zu reden, bestreitet sie den Satz „Wir schaffen das“ und fordert mehr „Sicherheit“, fordert, die Sicherheitsbehörden müssten ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen. Betrachtet man aber die Realität, ist diese Forderung absurd: 2300 Polizisten standen in München.
Die CSU gilt nicht gerade als liberal, wenn es um Sicherheitspolitik und Eingriffe in Grundrechte wie die informationelle Selbstbestimmung geht, aber auch um das Verwirken des „Gastrechtes“, will meinen Abschiebungen. Gerade im reichen, CSU-geführten Bayern dürfte bereits das Maximum an Repression und Sicherheit, soweit die Länder dafür zuständig sind, verwirklicht sein. Dennoch waren diese Taten gerade in Bayern möglich. Wie also soll das von Wagenknecht geforderte „Mehr“ an Sicherheit aussehen, das über das selbst von der CSU realisierte hinausgeht? Die Bundeswehr im Inneren als Forderung der LINKEN?
Dabei findet sich hier doch Platz für einen linken Populismus, der Repression als offensichtlich völlig nutzlos angreift, als sinnlose Maßnahme, die keine der Taten verhindern konnte, obwohl in den letzten Jahrzehnten alles getan wurde, um mehr „innere Sicherheit“ zu gewährleisten. Ein solcher Populismus war sich bisher nie zu schade, egal was passiert ist, mehr soziale statt innerer Sicherheit zu fordern. Es ist eine interessante Entwicklung, dass Sahra Wagenknecht statt einer wenigstens linkspopulistischen Antwort plötzlich rechte Forderungen aufgreift.
Ein besonders kritischer Kommentator bezeichnete dies im Freitag als „linke Realpolitik“ und kritisierte die Kritik daran als ideologisches „Reinheitsgebot“. Will meinen: Was „wir Linken“ glauben, wollen und anstreben, ist eigentlich doch linke Spinnerei, an die der Autor selbst nicht glaubt, an die wir selbst nicht glauben sollten und die rechte Reaktion ist die „realistische“. Das wirkt im Übrigen besonders wirr, wenn der Kommentator aus linken Grundsätzen heraus rot-rot-grün ablehnt, aber gleichzeitig einfordert, dass man linke Grundsätze auch mal wird über Bord werfen dürfen, wenn nicht gar müssen.
Dabei hat die linke Spinnerei wenigstens noch mit der Realität eine Bekanntschaft, wenn ihr auch nicht immer jeder Teil der Realität bekannt sein will, ist also linke Realpolitik, während man sich rechts davon in eine ideologische Besessenheit von der inneren Sicherheit verirrt hat. Gerade jetzt auf diese bürgerliche Erzählung hereinzufallen, dass links ideologisch, träumerisch und rechts realistisch, pragmatisch ist, wo offenkundig wird, dass das Gegenteil der Fall ist, wäre nicht nur dumm, sondern vor Allem gefährlich.

Mahnend schreiten wir voran

Denn natürlich glauben rechte Politiker und Politiker, die Rechtes fordern, dass ihre Ansätze etwas nützen, tatsächlich helfen, tatsächlich mehr Sicherheit bieten, tatsächlich besonnen sind. Doch dadurch, dass so offensichtlich ist, dass das nicht sein kann, wird offensichtlich, dass es sich dabei nicht um Schlussfolgerungen handelt, sondern um einen Wahn, eine Ideologie. Es muss helfen, weil es helfen muss. Die fast schon reflexartigen Forderungen nach mehr Sicherheit sind keine Reaktion auf ein Ereignis, sondern eine Aktion nach einem Ereignis, die bloß einfordern, was ohnehin schon Überzeugung derjenigen ist, die da fordern. Solche Überzeugungen aber, solche Reflexe, solcher Wahn wird erlernt, antrainiert und es steht zu befürchten an, dass sich in wenigen Jahren diese Gesellschaft mehrheitlich nicht mehr wird vorstellen können, wie man denn auf solche Taten anders reagieren könne als mit verschärfter Überwachung.
Denn es fehlen die Mahner. Diejenigen, die zur Besonnenheit aufrufen. Gerade wenn man es mit einer aktionistisch orientierten Bundesregierung zu tun hat, würde man diesen Job bei der Opposition vermuten, doch spätestens seit die AfD auf Panik mit mehr Panik reagiert – oder eben mit mehr Ideologie auf Ideologie – ist das nicht mehr so. Beinahe vermisst man die FDP, die wenigstens offiziell wusste, dass mit Sicherheit, wie sie heute gerne gefordert wird, nur die Sicherheit vor dem Individuum gemeint ist, während die Sicherheit vor dem Staat abnimmt. Gerade in Deutschland sollte man Angst vor einem panischen, rechtskonservativ geführten Staat haben.
Aber selbst ganz ohne Besonnenheit und schwerwiegende Gedankengänge, die man am besten mit Zigarre und Ohrensessel zum besten gibt, könnte man auch sehr aufgeregt und geradezu panisch auf die aufgeregte Panik der Bundesregierung und vieler weiterer Politiker reagieren: Die haben offensichtlich keine Ahnung, was sie tun! Die quasseln von Repression und Überwachung, die keine Sicherheit bietet, statt sich mit psychosozialer Hilfe auseinanderzusetzen.
Wie? Psychosoziale Hilfe passt nicht als Schlagwort auf Wahlplakate? Schade.  

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