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Exkurs Rechtswissenschaften: "Antifa-Sportgruppe"

Ich will euch Jura-Dinge erklären, aber damit ihr das nicht merkt, präsentiere ich euch einen spannenden Fall dazu:
Stellt euch vor, ein Staatsanwalt ermittelt gegen eine kriminelle, wenn nicht gar terroristische Vereinigung, die Jagd auf den politischen Gegner macht. Im Zuge solcher Ermittlungen werden regelmäßig Grundrechte in Formen eingeschränkt, die unter normalen Umständen (schwere) Straftaten darstellen. Verdächtigen wird nachgestellt, Telephone werden abgehört, Computer ausgespäht, Wohnungen gewaltsam geöffnet und durchsucht, Gegenstände beschlagnahmt, Menschen festgenommen oder gar verletzt. Der Haken: Die von unserem Staatsanwalt gesuchte Gruppierung existiert überhaupt nicht oder wenigstens nicht in einer Form, die sein Vorgehen rechtfertigen würde.
Einige Lesser werden es schon bemerkt haben: Über einen ähnlich gelagerten Fall bezüglich einer vermeintlichen "Antifa-Sportgruppe" berichtete der Spiegel. Die Ermittlungen wurden wegen geringer Schuld eingestellt, obwohl manchen der Verdächtigten gerade einmal nachgewiesen werden konnte, dass sie sich an friedlichen Demonstrationen beteiligten, was außerhalb Sachsens nicht als "geringe", sondern als keine Schuld gelten dürfte. Eine sächsische Zeitung lässt die Ermittler gar verkünden, dass es die gesuchte Gruppe gegeben habe - man habe es eben nur nicht beweisen können. 
Allein wegen dieses interessanten Verständnisses von Schuld, Rechtsstaatlichkeit, Grundrechten und vorallem Beweislast im Strafprozess hätte dem Vorfall über vereinzelte Artikel hinausgehende Aufmerksamkeit außerhalb von Regionalpresse und linken Kreisen gebührt. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass die Staatsanwaltschaft für ihre Annahmen die besten und fundiertesten Gründe hatte, müsste dies doch noch herausgestellt werden. Weil sich darüber aber letztlich nur spekulieren lässt, soll der Originalfall nur die Problematik illustrieren, die anhand des Beispiels beleuchtet werden soll:
Welche strafrechtlichen Konsequenzen hat es, wenn Ermittler, wenn auch ihrer ehrlichen Vorstellung nach legitime, aber letztlich nicht durch wirkliche Umstände gerechtfertigte Taten begehen, die tausende Menschen in ihren Rechten verletzen und sogar tausendfach Straftatbestände erfüllen?
Dabei sei vorangestellt: Das Gesetz erlaubt Ermittlern verschieden schwere Eingriffe, wenn bestimmte Verdachtsformen vorliegen. Es gibt also genug Raum innerhalb der Erlaubnissätze der Strafprozessordnung für falsche Verdächtigungen, die die Rechtsordnung bereit ist zu ertragen, weil Ermittlungen sonst unmöglich wären. Der Verdacht ist dabei im Sinne des Gesetzes kein bloßer Vorwurf oder die subjektive Meinung des Ermittlers, sondern etwas Faktisches. Es geht uns in unserem Fall aber eben nicht um den tatsächlich Verdächtigen, sondern um den vom Ermittler bloß Verdächtigten. Es geht um den Fall, in dem der Ermittler den Spielraum des Erlaubnissatzes verlässt, weil er verkennt, dass dessen Voraussetzungen nicht vorliegen, also bspw. gar kein dringender Tatverdacht besteht, er sich diesen nur aus Verbissenheit erfolgreich eingeredet hat.
So ein Irrtum über Erlaubnistatumstände ist in der Rechtswissenschaft dem Schein nach umstritten: Aber neben den wenigen tapferen Vertretern ihrer jeweiligen abweichenden Auffassung, kommt die erdrückende Mehrheit der Literatur und Rechtsprechung zu dem Ergebnis, dass ein solcher Irrtum den Vorsatz automatisch via §16 StGB ausschließt. In Betracht komme nur eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Begehung, also bspw. nicht wegen Mordes, sondern nur wegen fahrlässiger Tötung. Die Strafen sind entsprechend geringer.
Der Gedanke dahinter erscheint durchaus plausibel: In einem freiheitlichen Rechtsstaat ist eine Handlung entweder von vornherein erlaubt oder von vornherein verboten. Sie kann nicht "im Grunde" verboten sein und "nachträglich" vom Staat bspw. durch Notwehr erlaubt werden. Weil es also keinen rechtlichen Unterschied zwischen von Vornherein Erlaubtem und im Nachhinein Erlaubtem gibt, muss es immer die gleichen Konsequenzen haben, wenn jemand fälschlicherweise annimmt, seine Handlung sei aufgrund tatsächlicher Umstände nicht verboten - sei dies nun, weil er einen anderen für einen Angreifer oder für ein Wildschwein hält. Das kann im Grundsatz überzeugen, doch gibt es ein großes Problem mit dieser Auffassung: Das Gesetz passt nicht dazu. Daher führt sie zum genauen Gegenteil dessen, was sie erreichen möchte. Sie privilegiert staatliche Eingriffe und benachteiligt individuelle Verteidigungshandlungen.
Nicht nur, dass der Gesetzgeber sehr wohl "von vornherein" und "im Nachhinein" Erlaubtes mit rechtlicher Relevanz unterscheidet, indem er bspw. zwar das Recht zum Widerstand gegen die rechtswidrige Staatsgewalt einräumt, aber denjenigen, der fälschlicherweise die Staatsgewalt für rechtswidrig hält, dennoch wegen einer vorsätzlichen Tat bestraft:
Während üblicherweise im Rahmen von individueller Verteidigung begangene Straftaten wie Körperverletzung und Totschlag auch als fahrlässige Körperverletzung und fahrlässige Tötung bestraft werden können, können typischerweise bei staatlichen Ermittlungen begangene Straftaten wie das Ausspähen von Daten, der Wohnungseinbruchsdiebstahl, der Hausfriedensbruch, oder die Freiheitsberaubung allesamt nicht wegen fahrlässiger, sondern nur wegen vorsätzlicher Begehung bestraft werden.
Während also nach dieser Auffassung unser Staatsanwalt nicht vorsätzlich handelt und daher, wenn im Rahmen seiner Ermittlungen niemand verletzt oder getötet wurde, selbst wenn er aufgrund der größten Nachlässigkeit, Ignoranz oder gar Menschenfeindlichkeit irrt und Tausende in ihren Rechten verletzt völlig straffrei bleibt, kann eine durch sexuelle Gewalt traumatisierte, aber nicht schuldunfähige Frau, die einen Mann ohrfeigt, weil sie irrigerweise glaubt, er wolle sie vergewaltigen, sehr wohl bestraft werden. Die staatlichen Ermittler, aber auch selbsternannte Ordnungshüter wie Bürgerwehren und andere meist rassistische Vigilanten werden geradezu ermutigt, nicht genau zu prüfen, ob ihr Handeln legitim ist, damit sie mit ihrer aus Ignoranz oder Menschenfeindlichkeit geborenen, aber wenigstens "ehrlichen" Überzeugung irrend straflos bleiben können, wenn sie Unschuldige verfolgen.
Wer es nicht besser wissen wollte, das hat in Deutschland Tradition, darf nicht für seine Ignoranz bestraft werden. 

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