Top Menu

Opposition? Regierung? Egal! Hauptsache Sozialismus!

Ich bin immer sehr dankbar, wenn ausgewählte Funktionär*innen in meiner Partei, die wirklich wichtigen Fragen, die richtig dringend sind und die Menschen bewegen, andiskutieren und Antworten entwickeln. Bspw. haben sich jüngst Ellen Brombacher und Wolfgang Gehrcke, mit freundlicher Unterstützung von Diether Dehm u.A. dazu entschlossen, einen offenen Brief an die Delegierten des Bundesparteitages zu richten, der sich damit beschäftigt, wie DIE LINKE denn in den Wahlkampf ziehen will.
Immerhin: DIE LINKE muss ein politisches Angebot machen, das über eine Ansammlung einzelner Forderungen und gedrehter Stellschrauben, ja sogar über politische Großprojekte wie die Vergesellschaftung der Infrastruktur hinausgeht. Sie muss die Frage beantworten: Wie wollen wir hier eigentlich miteinander leben?
Wichtig genug ist das Thema also und es ist das Vorrecht des Bundesparteitages, es besser zu wissen, als Parteivorstand, Bundesgeschäftsführer und die anderen Beteiligten, die mit Wahlkampfstrategie und Wahlprogramm schon Antworten gegeben haben.
Lass lieber über was Anderes reden

Allein: Die Frage, wie "ein starker Wahlkampf" geführt werden solle, will der Brief gar nicht beantworten. Schlimmer noch: Er kann nicht einmal die Frage beantworten, die er selbst stellt, nämlich die tausendfach diskutierte nach der Regierungsbeteiligung. Eher noch wirft er mehr Fragen auf: Was ist eigentlich ein Oppositionswahlkampf? Im Brief selbst steht das nicht. Im Gegenteil, dort stellt man im Widerspruch zu allem, was der Wortsinn hergeben könnte, fest: "Wir brauchen dringend einen Politikwechsel". Einen Politikwechsel, bei dem DIE LINKE in der Opposition bleibt? Wir wahlkämpfen für etwas, das wir brauchen, aber von vornherein nicht einlösen können oder wollen? Umso wunderlicher wirkt der Vorwurf an die Gegenseite: Wer für R2G in den Wahlkampf ziehe, verschiebe den gebrauchten Politikwechsel auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Aber wer von vornherein "Nö" sagt, weil das ja ohnehin nichts wird, vertröstet Wähler*innen nicht auf irgendwann später mal vielleicht?
Auf die Frage der Regierungsbeteiligung keine Antwort zu geben, ist so schlimm aber gar nicht.
Man kann das für eine wichtige Grundsatzfrage halten, ob eine Partei denn regieren will oder nicht. Oder man nimmt das, was man selbst tut, mal kurz ernst: DIE LINKE stellt politische Forderungen auf und ist eine parlamentarische Partei. Was soll sie denn mit diesen Forderungen sonst machen, wenn nicht sie umsetzen, will meinen: regieren? Für schöne Reden von einer besseren Welt irgendwann später vielleicht mal muss niemand DIE LINKE wählen, da reicht am Wahlsonntag der Gang in die Kirche. Für das, was von Oppositionsarbeit unmittelbar als solche wahrnehmbar bei den meisten Leuten ankommt, nämlich die gelegentliche Rede der Fraktionsvorsitzenden im Facebooknewsfeed, spielt es keine große Rolle, ob da am Ende 5 oder 49 Prozent des Bundestages applaudieren.
Das Einzige, was es zu diskutieren gibt, ist, unter welchen Bedingungen man Regierungsbeteiligung denn machen möchte. Aber zu dieser Frage gibt es gleich im doppelten Sinne nichts zu diskutieren. So muss mir niemand mit erhobenem Zeigefinger erklären, dass ich nur mit dem richtigen Schlüssel eine verschlossene Tür öffnen darf, weil es mir schon aus praktischen Gründen ganz unmöglich ist: Ohne dass sich grundsätzlich was ändert bei der SPD, ohne dass sie ein inhaltliches Angebot macht und ohne dass es genug Leute gibt, die sich für einen linken Politikwechsel begeistern lassen und ihn einfordern (die vielbeschworene, aber nie erfolgreich mit Warnungen vor R2G herbeigetippte linke Bewegung): Ohne all diese Voraussetzungen kann es schon rein rechnerisch kein R2G geben und solange wird sich auch die SPD weiterhin weigern, R2G auf Bundesebene auch nur zu versuchen. Ob man es dürfte, wenn es ginge, bleibt da eine akademisch sehr interessante, aber praktisch nutzlose Debatte.
Aber auch wenn es denn rein rechnerisch reichen würde: Auch dann gibt es vor der Wahl nichts zu diskutieren, weil die konkrete Abwägung, ob die Koalition es wert wäre, erst durch die Koalitionsverhandlungen selbst möglich wird. Will meinen: Wir können uns gerne theoretisch ausmalen, was wir denn bereit sind mitzumachen (und damit jede Verhandlungsposition schwächen, indem wir offenlegen, was wir denn alles aufzugeben bereit wären). Wir können unsere Zeit damit verschwenden, unsere Kaffeesätze zu lesen, was die SPD denn wohl mitmachen wird und was nicht, uns gegenseitig versichern, dass die SPD aber ganz bestimmt gar keine oder alle Zugeständnisse machen wird (womit sich dann beide Seiten unglaubwürdig machen würden). Und danach können wir uns über die zehntausend verschiedenen Szenarien streiten, die wir uns ausgedacht haben und für jedes Einzelne abwägen, ob es das konkret wert ist. Und wenn das nicht reicht, um genug Wähler*innen abzuschrecken, können wir damit gleich nach der Wahl wieder von vorne anfangen, weil bei den Koalitionsverhandlungen ohnehin nicht rauskommen wird, was in unseren Kaffeesätzen stand...
oder wir unterhalten uns mal über etwas Sinnvolles, bis es so weit ist.

Du, Frederick, was ist eigentlich demokratischer Sozialismus?

Nichts leichter als das, sollte DIE LINKE antworten können. Dummerweise redet die Partei des demokratischen Sozialismus nicht so oft darüber, was das eigentlich sein soll.
Wenn mit Oppositionswahlkampf gemeint wäre, wir mögen darstellen, dass wir uns in Opposition zu den Verhältnissen befinden, die Kapitalismus und bürgerliche Gesellschaft heißen, wäre das zwar sehr richtig, hätte aber nichts mit der Frage der Regierungsbeteiligung zu tun. Immerhin lässt Opposition zu den herrschenden Zuständen den Gedanken zu, in die Regierung zu gehen, um die Opposition gegen die Verhältnisse mit Staatsgewalt führen zu können. Negative Definitionen führen aber eben auch nur so weit.
Am allein von einem anfangs ungewohnt sozialdemokratisch daherredenden Europapolitiker angetriebenen Schulz-Zug, der nicht trotz sondern gerade wegen des Rechtsrucks die Umfragewerte und Neueintritte der SPD kurz aufflackern ließ, wurde eines doch mehr als deutlich: Es gibt genug (junge) Menschen, die wenigstens ihrem Bauchgefühl nach schon irgendwie etwas Linkes im ökonomischen und etwas Liberales im gesellschaftlichen Sinne hätten, mit Europa und offenen Grenzen für Menschen auf der Flucht vor Krieg und Terror. Der Wunsch zur Rückkehr in die gesellschaftliche Enge der Nationalstaaten hat immerhin auch immerhin auch eine Gegenbewegung für ein freiheitliches Europa hervorgebracht. Nur haben diejenigen, die sich letzteres wünschen, gerade keine (verlässliche) parteipolitische Heimat. Immerhin wird die Frage erlaubt sein, warum sich die ganzen Schulzanhänger*innen, die ihn abfeierten, als sie über ihn nur wussten, dass er Europäer ist und nicht Sigmar Gabriel, denn nie zu DIE LINKE verlaufen haben.
Hätten die Genoss*innen Funktionäre sich also mal lieber in den letzten zwei Jahren damit beschäftigt, wie der Satz "Wir wollen offene Grenzen für alle Menschen" denn nun gemeint sei. Oder darüber entschieden, ob man ein BGE möchte, wenigstens aber gesagt: "Jeder Mensch hat das Recht auf das schöne Leben", auf ein netflix-Abo, auf eine Modelleisenbahn, auf laute Musik, auf einen-Trinken-gehen und auf ein gutes Buch, das er*sie noch nicht gelesen hat. Und auf möglichst gut bezahlte, aber möglichst wenig Arbeit, weil das am besten alles Roboddah übernehmen. Der Mensch soll am besten machen können, was er eben will. Hätten sie mal einen greif- und fühlbaren Entwurf für ein sozialistisches Europa entwickelt. Stattdessen wird die Münze Angst und Verzweiflung gespielt: Mit der SPD ist ja ohnehin nichts zu machen! Eigentlich ist ja alles hoffnungslos! Wer das Europakapitel im Wahlprogrammentwurf liest, bekommt eher das Gruseln als Aufbruchstimmung. Auch andere Publikationen der LINKEN wirken eher bedrückend als hoffnungsvoll. Als wär den Leuten das Leben nicht schon schwer genug.
Solange die Vertreter*innen der LINKEN, darunter auch das Spitzenteam um Sahra Wagenknecht, dann auch noch lieber über Regierung oder Opposition reden, wird es mit keinem von beidem was. Niemand wählt DIE LINKE für das eine oder das andere, weil keines von beidem Selbstzweck ist. Man wählt uns für demokratischen Sozialismus, weil man den geil findet, weil man so leben will - oder man wählt uns nicht. Man wählt uns, weil man uns abnimmt, dass wir das hinkriegen - oder man nimmt den Gang zur Wahlurne genauso ernst wie den zur Kirche, wenn grad nicht Weihnachten oder Ostern ist.
Da wird man aber auch mal erklären müssen, was das eigentlich ist, dieser demokratische Sozialismus, diese Utopie, dieses schöne Leben, denn vielen Leuten dürfte die Freizeit oder die Vorstellungskraft fehlen, weil die realen Verhältnisse so anders sind. Da wird man sich aber zuerst einmal selbst glauben müssen, dass man nicht nur so leben will, sondern dass man es natürlich auch kann. Das sind eben keine linken Spinnereien. Das ist ganz selbstverständlich die Zukunft. Hab ich bei Star Trek gesehen.

Ach und wen es interessiert, wie LINKE und linke Antworten zur Einwanderungspolitik aussehen könnten, wenn sich diese Partei mal was trauen würde, dem sei der Antrag der Linksjugend Sachsen-Anhalt zum Thema ans Herz gelegt, der vom letzten Landesparteitag leider nicht beschlossen, sondern an den Landesvorstand überwiesen wurde.

Kommentar veröffentlichen

Designed by OddThemes | Distributed by Gooyaabi Templates